Kiew/Brüssel – Wegen des anhaltenden russischen Angriffskriegs in der Ukraine erhöht die Europäische Union nochmals den wirtschaftlichen Druck auf Moskau. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen warb am Mittwoch für ein Öl-Embargo gegen Russland, das bisher mit Exporten des Rohstoffs Milliarden einstreicht. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz versprach der Ukraine weitere militärische Hilfe. Geprüft wird auch die Lieferung von Panzerhaubitzen. Im Kriegsgebiet attackierte Russland gezielt Bahnstrecken, um Waffentransporte aus dem Westen zu bremsen.
Sowohl die Ukraine als auch Russland meldeten schweren Raketenbeschuss auf Bahnhöfe, Haltestellen und Umspannwerke in der Ukraine. Es handele sich um Strecken, auf denen Transporte von Waffen und Munition aus den USA und europäischen Ländern für ukrainische Truppen im Donbass liefen, erklärte das russische Verteidigungsministerium. Dieses meldete zudem Artilleriebeschuss auf rund 500 Ziele an der Front in der Ostukraine. Mehr als 300 ukrainische Soldaten seien getötet worden. Der Krieg dauert inzwischen schon mehr als zwei Monate.
Westliche Waffenlieferungen als Angriffsziele
Verteidigungsminister Sergej Schoigu bekräftigte, dass Moskau westliche Waffenlieferungen an die Ukraine als legitime Angriffsziele sehe. Schoigu sprach auch von Gebietsgewinnen in den ostukrainischen Separatistengebieten Luhansk und Donezk, nannte aber keine Details. Westliche Militärexperten sind der Einschätzung, dass die russische Offensive im Donbass seit Kriegsbeginn am 24. Februar hingegen eher schleppend läuft. Unabhängig lassen sich die meisten Angaben nicht überprüfen.
Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, erklärte auf Telegram, die Angriffe auf Bahnanlagen hielten den Nachschub an Rüstungsgütern nicht auf. «Es kommt alles an.» Präsident Wolodymyr Selenskyj wertete die Raketenangriffe als Schwäche Moskaus. Er berichtete von Raketen auf die Städte Lwiw, Winnyzja und Odessa, das Kiewer Gebiet und das Umland von Dnipro. Insgesamt sollen es nach ukrainischen Angaben mehr als 20 Raketen gewesen sein.
Auch um das von russischen Truppen belagerte Stahlwerk Azovstal in der Hafenstadt Mariupol wurde wieder heftig gekämpft. Dennoch stellte Schoigu weitere Evakuierungen von Zivilisten in Aussicht. «Wir setzen diese Versuche fort.» Auch die ukrainische Seite erwartete nach eigenen Angaben eine neue Evakuierungsaktion. In den vergangenen Tagen waren mehr als 150 Menschen aus dem Stahlwerk entkommen. Das ukrainische Asow-Regiment meldete am Dienstag einen Sturm der Russen auf das Werk, was der Kreml am Mittwoch aber bestritt.
Moskau sieht «kaum Dynamik» in Verhandlungen mit Kiew
Kremlsprecher Dmitri Peskow hielt der Ukraine vor, sie sei Schuld an fehlender Bewegung in Verhandlungen für eine Friedenslösung. Man könne «kaum von Dynamik sprechen, im Gegenteil», sagte Peskow laut Agentur Interfax. Das gebe kaum Zuversicht auf ein Ergebnis. Die Ukraine warf Russland erneut schwere Kriegsverbrechen vor. Nach dem Abzug der Russen aus dem Gebiet um die Hauptstadt Kiew würden immer noch tote Zivilisten gefunden, teilte die Gebietsverwaltung mit. Bis Mittwoch wurden mindestens 1235 Leichen entdeckt.
Scholz sieht «veränderte Gefechtslage»
Scholz verteidigte nach einer Kabinettsklausur in Meseberg die Linie der Bundesregierung bei Waffenlieferungen. Es seien Rüstungsgüter aus Beständen der Bundeswehr geliefert worden, und es werde geschaut, was noch gehe. Nach Angaben von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (ebenfalls SPD) wird auch die Lieferung von schweren Artilleriegeschützen geprüft. Dabei geht es wohl um sieben von etwa 40 einsatzbereiten deutschen Panzerhaubitzen 2000.
Scholz sprach von einer «veränderten Gefechtslage». Luftverteidigung spiele eine verstärkte Rolle, sagte der Kanzler mit Blick auf die russische Offensive in der Ostukraine. Die Regierung hat bereits die Lieferung von bis zu 50 Gepard-Flugabwehrpanzern genehmigt. Trotz der Hilfszusagen sieht Scholz nach wie vor Hindernisse für eine Reise nach Kiew – obwohl Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) dort sogar von Präsident Selenskyj empfangen wurden war.
Scholz verwies erneut darauf, dass die ukrainische Führung Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im April nicht empfangen wollte. «Und das steht im Raum», sagte Scholz. Steinmeier selbst zeigte sich bei einem Besuch in Rumänien weiter bereit zum Gespräch mit Selenskyj und betonte: «Wir Deutsche unterstützen die Ukraine aus vollem Herzen.»
Auch Patriarch Kirill auf der EU-Sanktionsliste
Auf EU-Ebene versprach Kommissionschefin von der Leyen auch Hilfe für den Wiederaufbau der Ukraine. «Ich glaube, Europa hat gegenüber der Ukraine eine ganz besondere Verantwortung», sagte sie im EU-Parlament in Strassburg. Im Mittelpunkt stand dort aber das neue Sanktionspaket der EU gegen Moskau, das insgesamt sechste seit Kriegsbeginn. Das von ihr vorgeschlagene Embargo gegen russisches Öl soll in sechs Monaten wirksam werden. In acht Monaten soll auch der Import von Ölprodukten enden.
Nun folgen Verhandlungen der 27 EU-Staaten. Dabei geht es auch um Ausnahmen für Länder wie Ungarn und die Slowakei, die sehr von russischem Öl abhängen. Deutschland hält einen Importstopp mit Übergangsfrist inzwischen für verkraftbar. Darüber hinaus sieht das Paket Strafmassnahmen gegen russische Staatsmedien sowie gegen Verantwortliche für Kriegsverbrechen vor. Auch das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill soll auf die Sanktionsliste kommen. Zudem sollen die Sberbank – die mit Abstand grösste russische Bank – und zwei weitere grosse Banken vom internationalen Finanzkommunikationssystem Swift abgekoppelt werden.
Der Kreml reagierte zurückhaltend und betonte, das Sanktionspaket sei noch nicht beschlossen. «Wir beobachten das, wir kalkulieren eine Vielzahl von Optionen», sagte Peskow. (awp/mc/pg)