Für ihn wird die Luft zusehends dünner: Ägyptens Präsident Husni Mubarak.
Kairo – Neun Tage massive Proteste und blutige Schlachten zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Husni Mubarak haben dessen Regime zwar zum Wanken, aber nicht zum Einsturz gebracht. Am Abend wiederholte Mubarak im US-Sender ABC seine grundsätzliche Bereitschaft zum Rücktritt, prophezeite aber: «Wenn ich heute zurücktrete, wird Chaos ausbrechen».
Nach Angaben des Senders hält sich Mubarak mit seiner Familie im schwer bewachten Präsidentenpalast in Kairo auf. Mubaraks Vize Omar Suleiman bot der Opposition einschliesslich der Muslimbruderschaft umfassende Verhandlungen an. Das Militär stellte sich am Donnerstag schützend vor Demonstranten, die auch an diesem Freitag massenweise auf die Strasse gehen wollen. US-Präsident Barack Obama betet nach eigenen Angaben für Frieden in Ägypten. Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte von der ägyptischen Regierung, die Angriffe auf friedliche Demonstranten in Kairo unverzüglich zu unterbinden. Der neue ägyptische Regierungschef Ahmed Schafik kündigte eine Bestrafung der Verantwortlichen für die nächtlichen Angriffe auf Regimegegner und eine Untersuchung der Vorgänge auf dem Tahrir-Platz in Kairo an. Dabei wurden nach Angaben es Gesundheitsministeriums in den vergangenen Tagen 13 Menschen getötet. Die ägyptische Justiz untersagte führenden Vertretern des Regimes die Ausreise.
Suleiman sucht Gespräch mit Muslimbruderschaft
Vizepräsident Suleiman schloss einen Rücktritt Mubaraks vor Ablauf seiner Amtszeit im September kategorisch aus. «Die Forderung nach Rücktritt des Präsidenten ist ein Aufruf zum Chaos», erklärte er am Donnerstag in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen in Kairo. «Es gibt keinen Staat ohne Kopf.» Mubarak selbst sagte am Abend zu den blutigen Ausschreitungen, ihm täten die Gewaltexzesse leid. «Ich war sehr unglücklich darüber, was gestern (Mittwoch) geschehen ist. Ich möchte nicht, dass Ägypter gegen Ägypter kämpfen», sagte Mubarak. Suleiman lud erstmals die verbotene islamistische Muslimbruderschaft zu Gesprächen ein. «Ich habe sie kontaktiert, ich habe sie eingeladen, aber sie zögerten noch, in einen Dialog einzutreten», sagte er. Wenige Stunden zuvor hatte sich der Vizepräsident mit Vertretern mehrerer kleinerer Oppositionsgruppen getroffen. Die Muslimbruderschaft gilt als die grösste Oppositionsbewegung in Ägypten. An den Protesten gegen das Regime auf dem Tahrir-Platz nehmen ihre Mitglieder teil, als Organisation zeigt sie aber dort nicht Flagge.
Mubarak fordert Frist von 70 Tagen
Führende Oppositionelle, darunter der Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei und der ehemalige liberale Präsidentschaftskandidat Eiman Nur, verlangen als Bedingung für einen Dialog Mubaraks sofortigen Rücktritt. Suleiman drängte hingegen die Opposition zur Vorbereitung der Wahl eines Nachfolgers Mubaraks im August oder September. «Die Zeit drängt», sagte Suleiman in dem Fernseh-Interview. «Wir brauchen 70 Tage allein um die Verfassung zu modifizieren.» Er erwähnte jene Verfassungsartikel, die derzeit eine freie Präsidentenwahl unmöglich machen. Die von der Opposition verlangte Auflösung des Parlaments lehnte er ab. Die Volksvertretung werde benötigt, um die Verfassungsänderungen auf den Weg zu bringen. Die Armee stellte sich am Donnerstag zwischen die verfeindeten Gruppen. Wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur dpa beobachtete, gingen Soldaten mit Kalaschnikow-Gewehren zwischen den Fronten in Stellung. Auf dem Platz befanden sich mehrere tausend regierungsfeindliche Demonstranten. Ihnen standen hunderte Mubarak-Anhänger gegenüber. Immer wieder gab es Zusammenstösse.
Zufahrt Tahrir-Platz weiträumig abgesperrt
Das Militär sperrte die Zufahrtsstrassen zum Tahrir-Platz weiträumig ab. Auf dem Platz errichteten Demonstranten weitere Barrikaden. Neu ankommende Demonstranten verteilten Lebensmittel und Trinkwasser. Die Geschütztürme der Panzer, deren Rohre zunächst auf die Platzmitte gerichtet waren, wurden nach Augenzeugenberichten in die Gegenrichtung gedreht. Für eine Stabilisierung Ägyptens spielt das Militär eine zentrale Rolle. «Das Militär ist der Schiedsrichter», sagte der Nahost-Experte Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Eine Übergangsregierung mit einem General als Interimspräsidenten sei deshalb denkbar. «Aber es muss ein General sein, den das Volk tolerieren kann.»
Erschwerte Bedingungen für Medienschaffende
Für ausländische Reporter wird die Arbeit immer gefährlicher. Einige wurden verletzt und mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Die Situation werde dramatischer, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey der dpa. Die Bedrohungen nähmen zu, den Kollegen werde Ausrüstung abgenommen, Kassetten würden entwendet. Dem Fernsehteam des Senders n-tv wurde ebenfalls zeitweise die Ausrüstung weggenommen. Eine auch für das ZDF arbeitende Journalistin kam in Kairo nach 20 Stunden wieder frei. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) beklagte, bei den Übergriffen seien auch mehrere Berichterstatter geschlagen und ihrer Ausrüstung beraubt worden. Betroffen seien Mitarbeiter von Sendern wie BBC, Al-Dschasira, CNN, Al-Arabija und ABC News. Ein epa-Fotograf wurde am Kopf verletzt und von Armeesoldaten gerettet. Ein CNN-Reporter wurde mit seinem Team während laufender Kamera von Strassenkämpfern angegriffen.
Ägypten erlässt Ausreisebeschränkungen
Ein ägyptischer Generalstaatsanwalt untersagte bisherigen ranghohen Vertretern des Regimes die Ausreise. Die Anordnung betreffe Wirtschaftsleute und frühere Minister, berichteten ägyptische Staatsmedien. Ausserdem seien Bankkonten eingefroren worden. Von der Anordnung sind ranghohe Vertreter von Mubaraks Nationaldemokratischer Partei (NDP) wie der Stahlmagnat Ahmed Ezz betroffen. Auch der frühere Innenminister Habib al-Adli wurde genannt. Die Demokratiebewegung in den arabischen Ländern steht auch im Mittelpunkt internationaler Treffen am Freitag. Die Entwicklung werde bei der dreitägigen Münchner Sicherheitskonferenz eine erhebliche Rolle spielen, sagte der Leiter Wolfgang Ischinger der dpa. Auch die EU-Staats- und Regierungschefs wollen bei ihrem Sondertreffen in Brüssel über die politischen Krisen in Ägypten und Tunesien debattieren (awp/mc/upd/ps)