EU-Spitze plant Umverteilung von «mindestens 100’000 Flüchtlingen»

EU-Spitze plant Umverteilung von «mindestens 100’000 Flüchtlingen»
EU-Ratspräsident Donald Tusk.

EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Brüssel/Budapest – Die Flüchtlingskrise setzt Europa unter Handlungsdruck: EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte am Donnerstag vor einer Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa und forderte die «faire Verteilung» von «mindestens 100’000 Flüchtlingen» unter den EU-Staaten.

Die EU-Regierungen müssten die Flüchtlingskrise «ernsthaft angehen», sagte Tusk bei einem Treffen mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban in Brüssel. Er rief alle EU-Staats- und Regierungschefs auf, «ihre Anstrengungen zu verdoppeln» und «Solidarität» mit den Ländern zu zeigen, die Hauptziel der Flüchtlinge seien.

Gleichzeitig müsse Europa mehr tun, um seine Grenzen zu sichern, und sich «die Schlüssel zu unserem Europa von Schmugglern und Mördern zurückholen.» Letztlich gab Tusk, der die Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vorbereitet, damit auch Orban Rückendeckung.

Dessen Regierung steht in Europa seit Tagen in der Kritik. Am Wochenende hatte Ungarn zudem einen Grenzzaun zu Serbien fertiggestellt, um Flüchtlinge von der unkontrollierten Einreise abzuhalten. In Budapest hinderten die Behörden Flüchtlinge über Tage, Züge nach Österreich und Deutschland zu nehmen.

Am Donnerstag liess die ungarische Polizei bis zu 300 Flüchtlinge in einen Zug in Orte nahe der Grenze zu Österreich abfahren. Kurz nach der Abfahrt wurde der Zug aber gestoppt, wie die amtliche ungarische Nachrichtenagentur MTI meldete. Die Flüchtlinge seien dann in Bussen in ein nahegelegenes Aufnahmelager gebracht worden.

«Deutsches Problem»
Orban verteidigte in Brüssel das Vorgehen seines Landes: Die Flüchtlingskrise erfülle die Menschen nicht nur in Ungarn «mit Angst», sagte er. Dies sei aber «nicht ein europäisches», sondern «ein deutsches Problem». Keiner der Flüchtlinge wolle «in Ungarn bleiben», «alle wollen nach Deutschland».

Ungarn stehe nach EU-Recht in der Pflicht, alle ankommenden Flüchtlinge zu registrieren, und müsse seine Grenze nach dem Schengenabkommen sichern.

Ungarn wie auch Österreich hatten kritisiert, dass Deutschland das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrien-Flüchtlinge Ende August ausgesetzt hat. Dies schürt nach Einschätzung Budapests Hoffnungen bei den Flüchtlingen und erzeugt eine Sogwirkung.

Nach den Dublin-Regeln müssen Flüchtlinge in dem EU-Land einen Asylantrag stellen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten. Nach der deutschen Praxis werden Syrer nun nicht mehr in diese Länder zurückgeschickt, sondern können in Deutschland Asyl beantragen.

Forderung nach gemeinsamer Linie
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte, die Flüchtlingskrise bringe durch die Wiederkehr von Grenzkontrollen die Reisefreiheit in Europa in Gefahr. Europa müsse deshalb gemeinsam handeln.

Tusk forderte, Europa müsse in der Krise sowohl auf «Solidarität» als auch «Eindämmung» setzen, um eine Spaltung zu verhindern. Es gebe bereits eine «Kluft» zwischen «dem Osten und dem Westen der EU».

Einige Länder wie Ungarn wollten «die Migrationswelle eindämmen». Andere wollten Solidarität und forderten ein verpflichtendes Quotensystem zur Verteilung von Flüchtlingen. Nötig sei «ein gemeinsamer, aber doch ehrgeiziger Nenner».

Neuer Anlauf
Pläne der EU-Kommission, 40’000 Flüchtlinge aus den Mittelmeerländern Italien und Griechenland über verpflichtende Quoten auf alle EU-Staaten zu verteilen, waren im Juni am Widerstand einer Reihe osteuropäischer Staaten und Grossbritanniens gescheitert.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wolle nun einen neuen Anlauf nehmen und die verpflichtende Verteilung von 120’000 Flüchtlingen aus Ungarn, Italien und Griechenland vorschlagen, berichtete die «Welt» unter Berufung auf hohe informierte EU-Kreise. Demnach sollen 54’000 Flüchtlinge aus Ungarn, 50’400 aus Griechenland und 15’600 Flüchtlinge aus Italien umverteilt werden.

Juncker will den Vorschlag dem Bericht zufolge am Mittwoch bei seiner Rede zur Lage der Union im EU-Parlament in Strassburg machen. Eine Kommissionssprecherin wollte dazu am Donnerstag keine Stellung nehmen. (awp/mc/ps)

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