Brüssel – Die EU hat erstmals seit mehr als 30 Jahren wieder Sanktionen gegen China wegen Verletzungen der Menschenrechte verhängt. Die Aussenminister der 27 Mitgliedstaaten beschlossen am Montag in Brüssel Strafmassnahmen gegen Verantwortliche für die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang. China reagierte umgehend und verhängte seinerseits Strafmassnahmen.
Die Sanktionen sehen vor, dass sämtliche Vermögenswerte der betroffenen natürlichen oder juristischen Personen eingefroren werden. Ausserdem dürfen ihnen kein Geld oder wirtschaftliche Ressourcen mehr zur Verfügung gestellt werden. Die Einreise in die EU ist ihnen nun ebenfalls verboten.
Zu den vier betroffenen Chinesen zählen laut dem aktuellen EU-Amtsblatt der Direktor des Büros für öffentliche Sicherheit von Xinjiang, Chen Mingguo, sowie Vertreter des Parteikomitees des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang. Zudem wurde das Büro für öffentliche Sicherheit als Institution in die EU-Sanktionsliste aufgenommen.
Hunderttausende Menschen in Umerziehungslagern
Alle Betroffenen sind nach Auffassung der EU für die massenhafte willkürliche Internierung und erniedrigende Behandlung von Uiguren und Angehörigen anderer muslimischer ethnischer Minderheiten sowie systematische Verstösse gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit dieser Menschen verantwortlich. Die Menschenrechtsverletzungen seien im Zuge eines «grossangelegten Überwachungs-, Internierungs- und Indoktrinationsprogramms» gegen muslimische ethnische Minderheiten erfolgt, heisst es im EU-Amtsblatt.
Menschenrechtsgruppen schätzen, dass Hunderttausende Uiguren, Kasachen, Hui oder Mitglieder anderer Minoritäten in Xinjiang in Umerziehungslager gesteckt worden sind. China weist die Vorwürfe zurück und spricht von Fortbildungszentren.
Uiguren sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich in Xinjiang von den herrschenden Han-Chinesen unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 in Peking hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan der Volksrepublik einverleibt. Peking wirft uigurischen Gruppen Terrorismus vor.
China verhängt Sanktionen gegen Politiker und Institutionen in EU
Als Gegenreaktion auf die europäischen Sanktionen hat die Regierung in Peking ihrerseits Strafmassnahmen verhängt. Auf deutscher Seite wurden der europäische Grünen-Abgeordnete und China-Experte Reinhard Bütikofer, der CDU-Europa-Abgeordnete Michael Gahler, der Uiguren-Forscher Adrian Zenz und das renommierte Mercator-Institut für China-Studien (Merics) in Berlin genannt.
Das Aussenministerium in Peking warf ihnen am Montag vor, «Chinas Souveränität und Interessen schwer zu schaden und bösartig Lügen und Desinformationen zu streuen». Den genannten Personen und ihren Familien werde es verboten, nach China, Hongkong und Macao zu reisen.
Ihnen und Unternehmen oder Institutionen, die mit ihnen in Verbindungen stünden, werde ferner untersagt, Geschäfte in China zu machen, teilte das Ministerium weiter mit. «Die chinesische Seite drängt die EU, die Ernsthaftigkeit ihres Fehlers klar zu erkennen und ihn wieder gut zu machen», hiess es. «Sie soll aufhören, andere über Menschenrechte zu belehren und sich in deren interne Angelegenheiten einzumischen». Die EU solle davon absehen, «weiter den falschen Weg zu gehen». Anderenfalls werde China «entschlossen weitere Gegenmassnahmen ergreifen».
Insgesamt betroffen sind zehn europäische Politiker und andere Personen sowie vier Institutionen, wie das Aussenministerium in Peking am Montag mitteilte. Die EU-Sanktionen seien eine «schwere Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten». Sie basierten «auf nichts anderem als Lügen und Desinformationen, verzerren und missachten Fakten».
Letzte Strafmassnahmen vor über 30 Jahren
Wegen Menschenrechtsverletzungen hatte die EU zuletzt nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 Strafmassnahmen gegen China verhängt. Sie umfassen unter anderem ein Waffenembargo, das bis heute gilt. Bei der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung waren bei einem Einsatz der Volksbefreiungsarmee gegen friedliche Demonstranten Hunderte Menschen ums Leben gekommen. Die genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt.
Bereits im vergangenen Jahr hatte sich Peking «tief besorgt» über EU-Sanktionen gezeigt, die wegen Cyberangriffen gegen ein Unternehmen und zwei Hacker aus China verhängt wurden. Die Betroffenen haben nach Auffassung der EU weltweit Informationssysteme multinationaler Unternehmen angegriffen.
Dass die EU erst in diesem Jahr Sanktionen wegen des chinesischen Umgangs mit den Uiguren verhängt, hat nach Ansicht von Kritikern vor allem damit zu tun, dass China für die EU ein äusserst wichtiger Handelspartner ist. So war erst im vergangenen Dezember unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft eine grundsätzliche Einigung auf ein Investitionsabkommen erzielt worden, das europäischen Unternehmen Geschäfte in China erleichtern soll.
Klare Worte aus Washington
Vor allem auch in den USA wurde dieser Schritt kritisch gesehen, da der neue Präsident Joe Biden eigentlich eine Allianz mit Verbündeten wie den Europäern im Umgang mit China schaffen will. Wie Bidens Regierung sich den vorstellt, zeigte sich in der vergangenen Woche. Beim ersten ranghohen Treffen zwischen den USA und China seit dem Amtsantritt von Biden überzog US-Aussenminister Antony Blinken China mit schweren Vorwürfen. So äusserte er nicht nur «tiefe Besorgnis» angesichts der Menschenrechtslage in der Metropole Hongkong und in Xinjiang, sondern warf China auch vor, für Cyber-Angriffe verantwortlich zu sein und US-Verbündete mit wirtschaftlichen Druck zu erpressen. (awp/mc/pg)