Brüssel / Athen – Im griechischen Schuldendrama keimt neue Hoffnung auf. Vor dem Sondergipfel der Euro-Staats- und Regierungschefs am Montagabend in Brüssel legte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras praktisch in letzter Minute neue Vorschläge für harte Steuererhöhungen und Einsparungen vor. Die Massnahmen sollen in den kommenden eineinhalb Jahren fünf Milliarden Euro einbringen. Dennoch ist EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker skeptisch, ob eine schnelle Einigung gelingen kann.
Nach Presseberichten ist Athen nun bereit, die Mehrwertsteuer im Bereich Tourismus zu erhöhen, die meisten Frührenten abzuschaffen und die Reichen des Landes mit einen Sondersteuer zu belegen. Griechenland fordere seinerseits eine Umschichtung und Umlegung der Schulden des Landes. Zudem solle es ein umfangreiches Investitionsprogramm geben, damit die griechische Wirtschaft wieder wachse.
Hilfe nur gegen verbindliches Reformprogramm
Die Zeit drängt: Das aktuelle europäische Hilfsprogramm für Griechenland läuft Ende des Monats aus. Wenn bis dahin keine Einigung über die Auszahlung von Hilfsgeldern in Höhe von 7,2 Milliarden Euro erzielt wird, droht dem Land die Staatspleite – zumal Athen bis zum 30. Juni 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlen muss. Ein verbindliches Reformprogramm gilt als Voraussetzung für die Auszahlung weitere Finanzhilfen.
Nach den neuen Vorschlägen soll der Mehrwertsteuersatz für Grundnahrungsmittel wie Reis und Nudeln von 13 auf 23 Prozent erhöht werden, wie griechische Medien berichteten. Die Mehrwertsteuer im Hotelgewerbe solle von 6,5 auf 13 Prozent verdoppelt werden, in Tavernen und Cafés von 13 auf 23 Prozent steigen.
Immobiliensteuer soll bleiben – Frührenten grösstenteils entfallen
Neu eingeführt werden soll demnach eine Sondersteuer auf Einkommen ab 30’000 Euro brutto jährlich, die von ein Prozent stufenweise bis sieben Prozent steigen könnte. 30’000 Euro jährlich entspricht in Griechenland einem mittleren Einkommen. Unternehmen, die 2014 mehr als 500’000 Euro Gewinne hatten, sollen bis zu sieben Prozent Sondergewinnsteuer zahlen.
Bleiben soll eine Immobiliensteuer, die die linke Regierung eigentlich abschaffen wollte. Allein diese Massnahme soll gut 2,6 Milliarden Euro in die Kassen spülen. Inhaber von Jachten, Luxusautos und Schwimmbäder müssten tiefer in die Tasche greifen.
Die meisten Frührenten sollen nach dem Tsipras-Angebot abgeschafft werden. Das war eine der Forderungen der Geldgeber zur Sanierung des Rentensystems. Ausserdem sollen die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für die Renten- und Krankenkassen um zwei Prozent erhöht werden.
Finanzmärkte feiern Fortschritte
Nach einer Unterredung Tsipras› mit EU-Kommissionspräsident Juncker in Brüssel stand ein Treffen mit Vertretern aller Geldgeber auf dem Programm. Mit dabei ist IWF-Chefin Christine Lagarde, die Europäische Zentralbank ist durch Direktoriumsmitglied Benoit Coeuré vertreten.
Die Hoffnung auf einen Durchbruch im Schuldenstreit beflügelte die Börsen in Deutschland und Griechenland. Die neuen Vorschläge aus Athen wurden von mehreren Seiten als gute Verhandlungsbasis gewertet. Börsianer hoffen nun auf eine Rettung in letzter Sekunde.
New Greek proposal received by @JunckerEU, @Lagarde, @ecb. Good basis for progress at tomorrow’s EuroSummit. In German: «eine Zangengeburt».
— Martin Selmayr (@MartinSelmayr) June 21, 2015
Junckers Kabinettschef spricht von «Zangengeburt»
Die neuen Vorschläge seien eine gute Basis für Fortschritte beim Sondergipfel, twitterte Junckers Kabinettschef Martin Selmayr. Neben Juncker hätten auch EZB und IWF-Chefin Lagarde die Vorschläge erhalten. Selmayr fügte in dem Tweet an: «In German: «eine Zangengeburt»». Zum Inhalt der Vorschläge machte er keine Angaben.
In Brüssel wollten am Montagmittag zunächst die Finanzminister der Eurozone zusammenkommen, um nach Auswegen aus der Krise zu suchen. Am Abend folgen die Staats- und Regierungschefs der 19 Länder der Währungsgemeinschaft. «Die Mutter aller Gipfel», titelte das griechische Blatt «Efimerída ton Syntaktón».
Um sich für künftige Krisen zu wappnen, legte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gemeinsam mit weiteren Top-Verantwortlichen einen Zwei-Stufen-Plan zur vertieften Zusammenarbeit der Eurozone vor. Damit solle die wirtschaftspolitische Steuerung des Währungsraums verbessert werden, heisst es in dem Bericht, der am Sonntagabend bekannt wurde. (awp/mc/upd/ps)