EY: Ausländische Direktinvestitionen in Europa erreichen neuen Rekord
Zürich – Europa zeigt sich überraschend attraktiv, noch nie wurde von Unternehmen aus der ganzen Welt so viel investiert: Die Anzahl ausländischer Direktinvestitionen in Europa stieg um 16 Prozent auf 5‘873, wie die aktuelle Auswertung des European Investment Monitor des Beratungsunternehmens EY zeigt. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre fort: Seit 2012 kann Europa eine kontinuierlich steigende Anzahl an Direktinvestitionen verzeichnen – in den letzten drei Jahren bewegte sich das Wachstum sogar im zweistelligen Bereich. Diese Investitionstätigkeit schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. Vergangenes Jahr kündigten Firmen mit ihren ausländischen Direktinvestitionen die Schaffung von über einer Viertelmillion Arbeitsplätze in Europa an.
Anders sieht die Lage in der Schweiz aus: Hier ging die Zahl der Investitionsprojekte aus dem Ausland von 90 auf 88 Projekte leicht zurück. Bereits 2015 lag der Zuwachs deutlich unter dem Wachstum Gesamteuropas. Und auch bei der längerfristigen Entwicklung läuft die Schweiz Europa hinterher: Die Zahl der Investitionsprojekte liegt immer noch rund 50 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.
«Die Resultate für Europa sind sehr erfreulich, die Schweizer Zahlen machen mich hingegen weniger glücklich. Obwohl die Schweiz als Standort in Sachen Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Wachstum und Infrastruktur seit Jahrzehnten vorne dabei ist, hat der starke Franken dazu geführt, dass die Zahl der Investitionen aus dem Ausland schon sehr lange tief ist und nicht mehr das Niveau von vor der globalen Finanzkrise erreicht», sagt Marcel Stalder, CEO von EY Schweiz.
Schweizer Standortkonsens unter Druck
Philip Robinson, Tax Partner und Mitglied des Verwaltungsrats von EY Schweiz, ergänzt: «Verglichen mit der Zeit vor der Finanzkrise hat der Standort Schweiz ausserdem wegen der schon mehrere Jahre andauernden Unsicherheit über die zukünftige Ausgestaltung der Unternehmenssteuerreform an Attraktivität eingebüsst. Die Annahme der Minder-Initiative und der Masseneinwanderungsinitiative sind weitere Elemente, die Unternehmen davon abgehalten haben, in der Schweiz zu investieren. Die Ablehnung der ersten Vorlage zur Unternehmenssteuerreform III hat zudem gezeigt, dass der jahrzehntelang bestehende Standortkonsens in der Schweiz nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.»
Trotz der Stagnation der Direktinvestitionsprojekte konnte die Zahl neuer Arbeitsplätze durch ausländische Investitionen in der Schweiz sprungartig von knapp 1‘400 im vergangenen Jahr auf mehr als 3‘400 gesteigert werden. Dieser Rekordwert ist aber auf einige wenige grosse Projekte zurückzuführen; die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze liegt grundsätzlich noch immer unter dem Niveau von 2007 und 2008.
Schweiz weiterhin einer der grössten Investoren in Europa
Die Schweiz hat letztes Jahr 289 Investitionsprojekte in anderen europäischen Ländern durchgeführt und liegt damit vor G-7-Ländern wie Japan und Italien auf Rang 6. Im Pro-Kopf-Vergleich führt die Schweiz europaweit bei weitem die meisten Investitionsprojekte im Ausland durch. Die Zahl hat sich seit Ausbruch der Finanzkrise 2009 mehr als verdoppelt und in den letzten vier Jahren stetig zugenommen. Schweizer Unternehmen schaffen auch viele Jobs: Die EY-Studie zählt über 7’100 Stellen, die im Rahmen von Direktinvestitionen im europäischen Ausland geschaffen wurden.
«Die Schweiz ist eine wichtige konjunkturelle Stütze Europas und trägt einen bedeutenden Teil zum Wiedererstarken der europäischen Wirtschaft bei», so Philip Robinson. Allerdings seien die Schweizer Auslandsinvestitionen ein zweischneidiges Schwert: «Viele dieser Projekte sind Verlagerungen von internen Dienstleistungen und vor allem der Produktion ins Ausland. Der starke Franken war hier der wichtigste Treiber. Die meisten Schweizer Unternehmen – und nicht nur Familienbetriebe – schöpfen aber die betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten nicht vollständig aus. Oft überwiegt das nachhaltige Interesse an ihrem Standort in der Schweiz.»
Jedes vierte Direktinvestitionsprojekt von Schweizer Unternehmen innerhalb Europas diente dem Auf- oder Ausbau von Produktionskapazitäten; dabei wurden knapp 3‘200 neue Stellen geschaffen. Typische Projekte sind Anlagen für die Fertigung von Komponenten für Fahrzeuge, Betriebe zur Verarbeitung von Nahrungsmitteln oder Fabriken zur Herstellung von Baumaterialen. Oft ist Osteuropa das Ziel solcher Investitionen – beinahe jede zweite durch Schweizer Firmen geschaffene Stelle in der Fertigung entfällt auf diese Region. Polen profitierte am stärksten von den insgesamt 13 Zielländern. Am meisten Investitionsprojekte – allerdings meist mit kleinerem Umfang – initiieren Schweizer Firmen innerhalb Europas im Bereich Vertrieb und Marketing. Sie erschliessen sich damit neue Märkte.
Schweizer Politik – Herausforderung Digitalisierung
«Es ist auch für die Schweiz erfreulich, dass in Europa so stark investiert wird. Ich sehe darin ein Zeichen, dass Europas Wirtschaft langfristig auf den Wachstumskurs zurückfindet und die Menschen den Verlockungen von Nationalismus, Protektionismus und Wachstumskritikern nicht erliegen werden. Die Ausgangslage in der Schweiz ist ebenfalls geeignet, den Standort wieder zu stärken: Die Masseneinwanderungsinitiative scheint erfreulicherweise in einer wirtschaftsverträglichen Art umsetzbar, eine neue Unternehmenssteuerreform ist aufgegleist und die Reform der Sozialwerke ist auf gutem Weg», so die wirtschaftspolitische Einschätzung von Marcel Stalder.
Die grösste Herausforderung für die Wirtschaft sieht Stalder aber in der Digitalisierungswelle, die nach und nach alle Branchen erfassen werde. «Für die Schweiz als Standort bieten die additiven Produktionsverfahren (3-D-Druck) und vor allem die Prozessautomation (Robotics) grosse Chancen. Durch diese neuen digitalen Technologien können Arbeitsplätze in grossem Umfang eingespart werden, sodass sich Auslagerungen nicht mehr lohnen oder Teile der Wertschöpfungskette wieder in die Schweiz zurückgeholt werden.» (EY/mc/ps)
Über die Studie:
Die tatsächlichen ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investments, kurz FDIs) wurden auf der Grundlage des European Investment Monitor (EIM) von EY ermittelt. Diese Datenquelle verfolgt ausländische Direktinvestitionsprojekte, die neue Betriebsstätten und/oder neue Arbeitsplätze geschaffen haben bzw. schaffen wollen. Durch den Ausschluss von Portfolioinvestitionen, Fusionen und Akquisitionen zeigt sie die tatsächlichen physischen Investitionen im Produktions- oder Dienstleistungsbereich durch ausländische Unternehmen quer durch Europa auf. EY führt diese Studie seit mehr als zehn Jahren in Zusammenarbeit mit dem auf Investitionen und Handel spezialisierten Forschungs- und Beratungsunternehmen Oxford Intelligence aus Birmingham (UK) durch.
Über EY
EY* ist eines der grossen Schweizer Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen. EY beschäftigt rund 2‘700 Mitarbeitende an 11 Standorten in der Schweiz und in Liechtenstein und erzielte im Geschäftsjahr 2015/2016 einen Umsatz von rund 661 Millionen Franken. Gemeinsam mit den 231‘000 Mitarbeitenden der internationalen EY-Organisation betreut EY Kunden überall auf der Welt. EY bietet sowohl grossen als auch mittelständischen Unternehmen ein umfangreiches Portfolio von Dienstleistungen an: integrierte Transformationsberatung von Strategie bis IT-Architektur, Wirtschaftsprüfung, Transaktions-, Steuer- und Rechtsberatung und People Advisory Services. Dank gut ausgebildeten Mitarbeitenden, starken Teams sowie lokaler Verankerung im Verbund einer gut vernetzten, globalen Organisation lösen wir die Herausforderungen unserer Kunden. Building a better working world ist das globale Versprechen von EY, zu einer besser funktionierenden Welt beizutragen.
Zusätzliche Informationen entnehmen Sie bitte folgender Internetseite: http://www.ch.ey.com
*Der Name EY bezieht sich hier auf die Ernst & Young AG, das Schweizer Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global Limited (EYG), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem Recht. Jedes EYG-Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen.