New York – Die Aussagen von Kronzeuge Chuck Blazer gelten als Beleg für eine Kultur der Vorteilsnahme in der FIFA. Vor den WM-Turnieren 1998 und 2010 flossen Millionenzahlungen Richtung Nordamerika und Karibik. Von dort meldet sich ein Hauptbeschuldigter zu Wort und droht Blatter.
Laut diesem Hauptbeschuldigten, dem ehemaligen FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner, soll der Fussball-Weltverband seine Independent Liberal Party auf Trinidad und Tobago im Wahlkampf vor fünf Jahren finanziell unterstützt haben. FIFA-Funktionäre hätten davon gewusst, darunter auch Verbandschef Sepp Blatter, behauptete Warner in einer achtminütigen TV-Ansprache. «Nicht mal der Tod wird die Lawine stoppen, die kommt», prophezeite der 72-Jährige vor Anhängern auf Trinidad. Die entsprechenden Schecks und anderes Beweismaterial habe Warner an seine Anwälte übergeben, schrieb die Zeitung «Trinidad and Tobago Guardian».
Nachdem er von Blatters Rücktrittsankündigung am vergangenen Dienstag gehört habe, habe er dem Schweizer in einem Brief den sofortigen Rücktritt nahegelegt, berichtete Warner und fabulierte etwas nebulös: «Blatter weiss, warum er gefallen ist. Und wenn es jemand anderes weiss, bin ich es.» Die USA fordern die Auslieferung Warners. In seiner Heimat Trinidad und Tobago wurde Warner zwar kurzfristig festgenommen, kam aber gegen eine Kaution in Höhe von 2,5 Mio. Dollar frei.
Strafminderung durch Kooperation
Im erwarteten Wettlauf von mehreren beschuldigten FIFA-Funktionären um die Rolle des Justiz-Informanten will Warner offenbar weit vorne sein. Das könnte zu einer Bedrohung für Blatter und Co. werden – unabhängig seines Abschieds von der FIFA-Spitze.
Auf das Prinzip Strafminderung durch Kooperation hatte auch Blazer gesetzt, als die Beweislage gegen ihn erdrückend wurde. Blazer – von 1997 bis 2013 im FIFA-Exekutivkomitee – packte schon im November 2013 vor einem Gericht in Brooklyn/New York aus. Sein umfassendes Geständnis wurde nun veröffentlicht.
Generalsekretär in Bedrängnis
Blazer räumt ein, dass er gemeinsam mit namentlich nicht genannten Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees und einem Mitverschwörer – dem Vernehmen nach der namentlich ebenfalls nicht genannte Warner – Schmiergeld vom späteren WM-Gastgeber 2010 Südafrika erhalten habe.
Eine viel diskutierte Zahlung von zehn Millionen Dollar über ein FIFA-Konto unter angeblich möglicher Mitwisserschaft von FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke wird in den Unterlagen nicht explizit genannt. Doch die Indizien deuten darauf hin, dass Blazer diesen Deal in seinem Geständnis als Bestechung einstufte. Valcke bezeichnete den Vorgang bislang als legale Zahlung Südafrikas für die Fussball- Entwicklung in Mittelamerika, die zudem vom damaligen, mittlerweile gestorbenen, FIFA-Funktionär Julio Grondona freigegeben worden sei und nicht von ihm. Die WM-Organisatoren in Südafrika haben Bestechungsvorwürfe ebenfalls zurückgewiesen.
Vergabe von vier WM-Turnieren unter Bestechungsverdacht
Auch vor der WM 1998, die letztlich nach Frankreich ging, gab es Bestechung im FIFA-Apparat. Blazer gab zu, vor der Vergabe eine Zahlung erhalten zu haben – allerdings sagte er nicht von wem. Laut US-Behörden kam die Zuwendung vom gescheiterten Kandidaten Marokko. Mit den Turnieren 1998 und 2010 sowie der ebenfalls in weiteren Verfahren untersuchten Vergabe der WM 2018 an Russland und der WM 2022 in Katar stehen insgesamt vier Endrundenturniere unter Korruptionsverdacht.
Der Skandal ruft weltweit immer mehr Behörden auf den Plan. In Südafrika nahm eine auf Korruptionsbekämpfung spezialisierte Polizei-Einheit Ermittlungen auf, die klären will, ob bei der Vergabe der Weltmeisterschaft an das Land Schmiergeld geflossen ist. Die australische Polizei untersucht den Verdacht der Korruption rund um die gescheiterte Bewerbung des Landes für die Fussball-WM 2022.
Der scheidende FIFA-Chef Blatter wird in Blazers Gerichtsprotokoll nicht erwähnt. Blatter hatte stets jede Verwicklung in irreguläre Geschäfte bestritten. Berichte von US-Medien, nach denen das FBI auch gegen den 79-Jährigen ermitteln soll, bleiben unbestätigt. (awp/mc/pg)