Washington – Schleppender Welthandel, Abschottungstendenzen, Kriege und Flüchtlingskrisen: Die weltweite Finanzelite hat bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington die Risiken für weltweites Wachstum und Wohlstand ins Zentrum seiner Beratungen gestellt. Der weltweite Handel soll gestützt und Wachstum gefördert werden. «Das anhaltend schwache Wachstum hat tieferlegende Probleme offenbart», heisst es im Communiqué des IWF-Steuerungskreises.
Politische Risiken seien die Hauptgefahr für die Weltwirtschaft, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Samstag in Washington zum Abschluss der Jahrestagung sowie nach einem Treffen der Finanzminister der G20-Staaten. Dazu zählen der geplante Brexit in Grossbritannien genauso wie der Wahlkampf in den USA und der Bürgerkrieg in Syrien. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, sieht es ähnlich: «Die grössten Risiken sind geopolitischer Natur.»
Neuer Ansatz
Sollte es gelingen, ihnen zu begegnen, könne Wachstum und Inflation schon bald zu den Zielmarken zurückkehren, sagte Draghi. In der Eurozone werde die Inflation spätestens Anfang 2019 zur Zielmarke von knapp zwei Prozent zurückkehren, wenn die lockere Geldpolitik fortgesetzt werde.
Es sei erstmals im Kreis der Finanzminister und Notenbanker intensiv darüber diskutiert worden, wie man diesen Risiken entgegentrete, betonte Schäuble: «Das ist ein Stück weit ein neuer Ansatz», sagte Schäuble. Eine nachhaltige Entwicklung werde wichtiger. Darauf setzt auch Deutschland, wenn es im Dezember den Vorsitz der G20-Gruppe führender Industrie- und Schwellenländer übernimmt.
Risiko Brexit
Eines der grossen politischen Risiken bleibt der Brexit. Freude über eine sanfte Landung der britischen und europäischen Wirtschaft nach dem Austrittsvotum sei verfrüht, sagte Draghi. «Dies ist ein signifikantes Ereignis. Zu glauben, dass dies völlig ohne Auswirkungen bleibt, ist wahrscheinlich zu viel der Hoffnung», betonte Europas Top-Notenbanker.
Zuvor hatte vor allem IWF-Chefin Christine Lagarde vor einer Politik des Abschottens gewarnt. Der weltweite Handel wächst derzeit weniger schnell als die Weltwirtschaft insgesamt, deren Wachstum der Internationale Währungsfonds mit 3,1 Prozent für das laufende Jahr prognostiziert. Dies ist für viele Ökonomen ein Warnsignal.
Globalisierung
Die Globalisierung und der internationale Handel würden gebraucht, um Wachstum zu generieren und letztlich auch um Armut wirksam bekämpfen zu können. Die Französin sprach sich dafür aus, Instrumente zu entwickeln, die die Früchte der Globalisierung mehr Menschen zukommen lassen.
Schäuble und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann erteilten zusätzlichen Konjunkturspritzen erneut eine Absage, wie sie unter anderem Lagarde vom wirtschaftlich starken und vergleichsweise nur gering verschuldeten Deutschland fordert.
Keine Einigung zu Griechenland
«Die Lage der Weltwirtschaft ist gar nicht so schlecht», sagte Schäuble. All diese Debatten über stimulierende Massnahmen stünden nicht mehr so im Vordergrund wie in den vergangenen Jahren. Lagarde und auch Draghi sind dagegen der Auffassung, Deutschland habe Spielraum, um durch Investitionen Wachstum in der gesamten Eurozone zu generieren. Investitionen müssten aber zielgerichtet sein, um Produktivität zu steigern: Etwa in Bildung, Digitalisierung oder bestimmte Infrastrukturprojekte, sagte Draghi.
Keine Einigung gab es in Washington zur Frage, ob sich der IWF am milliardenschweren dritten Hilfspaket bei der Griechenland-Rettung beteiligt. Ohne die Beteiligung kann etwa der Deutsche Bundestag nicht zustimmen. Die Euroländer haben ihre Berechnungen darauf ausgerichtet, dass Griechenland langfristig einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent erwirtschaft.
Euro-Finanzminister beraten
Der IWF hält dies angesichts eines derzeitigen Defizits von elf Prozent und nur schleppend umgesetzter Reformen für utopisch und geht von einem Überschuss von höchstens 1,5 Prozent aus. Logische Folge wären für den Fonds Schuldenerleichterungen für Griechenland, was Deutschland ablehnt. «Das Problem von Griechenland sind nicht die Schulden», sagte Schäuble. Die Euro-Finanzminister beraten am Montag wieder über Griechenland. (awp/mc/ps)