Fukushima: Hoffnung im Kampf gegen GAU
Löscharbeiten mit Meerwasser am havarierten AKW Fukushima.
Tokio – In Japan steigt die Hoffnung auf einen relativ glimpflichen Ausgang der Atomkatastrophe von Fukushima. Den 300 Ingenieuren in der Gefahrenzone des havarierten Atomkraftwerks gelang es am Sonntag, den Reaktorblock 2 wieder ans Stromnetz anzuschliessen.
Damit sind vier der sechs Blöcke wieder versorgt. Zwar blieb zunächst unklar, ob alle Maschinen und Pumpen in dem durch Erdbeben, Tsunami und Explosionen beschädigten Kraftwerk noch funktionieren. Die Betreiber hofften jedoch, Anfang kommender Woche die Wende erzielen zu können. «Ich glaube, die Situation wird Schritt für Schritt besser», sagte Staatssekretär Tetsuro Fukuyama. Nach den Arbeiten vom Sonntag verfügten die Blöcke 1, 2, 5 und 6 wieder über Strom. Die Lage in Reaktor 3, wo hochgiftiges Plutonium zum Brennstoff gehört, schien sich nach stundenlanger Kühlung mit Hunderten Tonnen Wasser durch Löschzüge ebenfalls zu stabilisieren.
Reaktor 4 soll diese Woche stabilisiert werden
Anfang der Woche soll dann Reaktor 4 in Angriff genommen werden. Ein Sprecher des Betreibers Tokyo Electric Power (Tepco) erklärte allerdings, es könne mehrere Tage dauern, bis auch Blöcke 3 und 4 an Netz angeschlossen seien. Sollte die Lage auch dort stabilisiert werden können, wäre dies der Wendepunkt im Kampf gegen einen drohenden Super-GAU. Wenn nicht, müssten radikalere Massnahmen wie der Bau eines Beton-Sarkophags wie nach dem Tschernobyl-Unfall 1986 erwogen werden. Die japanische Regierung kündigte an, die vom Tsunami am Freitag vor einer Woche beschädigten Atomkraftwerke dauerhaft vom Netz zu nehmen.
Fukushima 1 wird nie mehr in Betrieb genommen
Eine erneute Nutzung zur Energieerzeugung sei nicht mehr möglich, da das zur Kühlung in den vergangenen Tagen eingesetzte Meerwasser aufgrund seiner korrosiven Wirkung zu irreparablen Schäden an der gesamten Anlage geführt habe. «Es ist klar, dass die Anlage Fukushima 1 in keiner Weise mehr wiederangefahren wird», erklärte Regierungssprecher Yukio Edano. Unterdessen wurde immer mehr Radioaktivität in der Umgebung des Atomkraftwerks nachgewiesen. Zunächst waren in Spinat und Milch aus der Umgebung des Kraftwerks, aber auch im Leitungswasser in Tokio und anderen Städten leicht erhöhte Werte gemessen worden. Regierungsvertreter beteuerten aber, dass die Belastung unbedenklich sei. Dennoch untersagte die Regierung am Sonntag den Verkauf von Rohmilch aus Fukushima.
Radioaktiv belastete Lebensmittel
In Taiwan wurden am Samstag radioaktiv belastete Bohnen aus Japan gefunden. Die Werte lagen ebenfalls deutlich unter den erlaubten Grenzwerten und waren damit nicht gesundheitsschädlich, wie die Behörden mitteilten. Es waren in Taiwan offenbar die ersten verstrahlten Importe aus Japan. Während viele Ausländer und Touristen die Hauptstadt verlassen haben, war keine grosse Flucht der Japaner selbst zu erkennen. Es gebe nicht viel, das sie tun könne, sagte eine 87-jährige Frau in einem Tokioter Supermarkt. «Ich habe nicht vor, meine Ernährung umzustellen. Und ich trinke nur Wasser aus Flaschen.»
Bislang 8’100 Todesopfer – Über 12’000 noch vermisst
Die Bergungs- und Aufräumarbeiten nach dem Erdbeben und dem nachfolgenden Tsunami gingen weiter. In der zerstörten Stadt Ishinomaki wurden Medienberichten zufolge neun Tage nach der Katastrophe eine 80-jährige Frau und ihr 16-jähriger Enkel aus den Trümmern gerettet. Über eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami hat die Zahl der Toten und Vermissten inzwischen 20’000 überschritten. Nach jüngsten Angaben kamen mehr als 8100 Menschen ums Leben, mehr als 12’000 wurden noch vermisst. Über 425’000 Männer, Frauen und Kinder leben in Notunterkünften.
Nur wenige Schweizer verlassen das Land
Die Schweiz rät nach wie vor, den Nordosten Japans und den Grossraum Tokio zu verlassen. Indes folgen nur wenige Schweizerinnen und Schweizer in Japan dieser Aufforderung. Nur etwa die Hälfte der Plätze, die die Schweizer Botschaft in Tokio auf Flügen in die Schweiz reserviert hat, wurde belegt. Dieses geringe Interesse erstaune, sagte der Schweizer Botschafter in Japan, Urs Bucher, im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Er halte aber «auf jeden Fall» an der Empfehlung zur Ausreise fest. Am Freitag seien 7 Personen ausgereist, am Samstag rund 20 und für Sonntag hätten 45 Personen gebucht, sagte Bucher der «Zentralschweiz am Sonntag». «Solange sich die Situation in Fukushima nicht stabilisiert hat und man befürchten muss, dass es in der Region Tokio zu einer erhöhten Strahlenbelastung kommen könnte, raten wir zu Abreise», sagte Bucher. In einem Interview mit der «SonntagsZeitung» sagte der Botschafter, dass für Ausreisewillige Gratistickets für Flüge in die Schweiz zur Verfügung stünden.
Keine Hinweise auf Schweizer Opfer
Wie viele Schweizer sich noch im Grossraum Tokio aufhalten, konnte Bucher im Interview mit der «NZZ am Sonntag» nicht sagen. Viele seien in den Süden gefahren, einige seien womöglich in andere asiatische Länder gereist. Nach wie vor gebe es keine Hinweise auf Schweizer Opfer des Erdbebens und des Tsunamis. Die Botschaft in Tokio hat unterdessen in Osaka eine Aussenstelle eingerichtet, die ab Montag in Betrieb genommen werden könnte. «Wir entscheiden je nach Entwicklung der Lage kurzfristig, ob wir auch den Rest des Botschafts-Teams nach Osaka verlegen», sagte Bucher weiter.
«Die normale Arbeit der Botschaft ist eingestellt»
Er fühle sich aber nicht unmittelbar bedroht, sagte Bucher in der «SonntagsZeitung». Seit dem Erdbeben werde in der Botschaft aber nur noch Krisenmanagement gemacht, «die normale Arbeit der Botschaft ist eingestellt». Die Botschaft bemühe sich, die Schweizer in Japan laufend zu informieren. Wer Hilfe brauche, werde unterstützt. Der Botschafter rühmt in dem Interview mit der «NZZ am Sonntag» das überlegte Handeln der Schweizer in Japan. «Viele haben uns spontan Hilfe angeboten», zum Beispiel Übersetzungsdienste. Unternehmen hätten Büroräumlichkeiten oder Transportfahrzeuge zur Verfügung gestellt. «Es ist doch beeindruckende, dass die Schweizer in dieser Situation als Gemeinschaft agieren – und nicht etwa als Panik-Truppe», so Botschafter Bucher.(awp/mc/ps)
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