Elmau / Madrid / Kiew – Es ist ein historischer Kraftakt für die Verteidigung der Ukraine: Nach der EU und der G7 will auch die Nato auf einem Gipfel am Mittwoch und Donnerstag mit aller militärischer und finanzieller Kraft auf den Angriffskrieg Russlands antworten. Beim dritten Gipfeltreffen binnen einer Woche plant die westliche Allianz an ihrer Ostgrenze Abschreckung durch Aufrüstung angesichts der Aggression des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Die Gruppe der wirtschaftlich stärksten Demokratien (G7) sicherte der Ukraine zum Abschluss des dreitägigen Gipfels am Dienstag im bayerischen Elmau umfassende Hilfe zu – «solange es nötig ist.» Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte als Gastgeber der G7-Staats- und Regierungschefs: «Wir sind uns einig: Präsident Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen.»
Kanzler Scholz, US-Präsident Joe Biden und deren Kollegen aus Frankreich, Grossbritannien, Italien und Kanada reisten nach Madrid weiter, wo sie am Vorabend des Nato-Gipfels zu einem Empfang bei Spaniens König Felipe zu einem Gala-Dinner geladen waren. Zur G7 gehört auch Japan. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel nahmen ebenfalls am Gipfel im Alpenidyll teil.
Die anstehenden Beratungen der 30 Alliierten in Madrid stehen auch unter dem Eindruck des russischen Raketenangriffs am Montag auf ein Einkaufszentrum in der ukrainischen Stadt Krementschuk. Nach Angaben der örtlichen Behörden starben mindestens 18 Menschen, 36 Menschen wurden noch vermisst. Die G7 verurteilte den Angriff.
Das russische Militär bestätigte in Moskau den Angriff, bestritt aber, dass das Einkaufszentrum in Betrieb gewesen sei. Es habe einen Luftangriff auf Hallen in der Nähe gegeben, wo aus den USA und Europa gelieferte Waffen gelagert gewesen seien. Die Detonation habe dann den Brand «in einem nicht mehr betriebenen Einkaufszentrum» ausgelöst. Die Kämpfe im Osten der Ukraine gingen unvermindert heftig weiter.
Hier sind zusammengefasst die wichtigsten Ergebnisse des G7-Gipfels:
- Ukraine-Hilfe: Scholz versicherte, man werde «die wirtschaftlichen und politischen Kosten für Präsident Putin und sein Regime hochhalten und in die Höhe treiben.» Der SPD-Politiker verwies auf Beschlüsse zur Unterstützung mit Budgethilfen von rund 29 Milliarden US-Dollar. Hinzu komme weitere humanitäre und militärische Hilfe.
- Nahrungsmittelhilfe: Die G7-Staaten stemmen sich mit weiteren 4,5 Milliarden US-Dollar (4,27 Mrd Euro) gegen drohende Hungersnöte wegen des Ukraine-Kriegs. Besonders in Ländern Afrikas sei die Ernährungskrise eine «existenzielle Bedrohung» geworden, sagte Scholz. Die G7 rief Russland auf, die Blockade ukrainischer Häfen zu beenden. Die Ukraine und Russland sind die grössten Weizen-Exporteure weltweit.
- Preisstopp für russisches Öl: Um gegen steigende Energiepreise anzugehen, will die G7 einen Preisdeckel auf russisches Öl prüfen. Nach Einschätzung von Scholz erfordern die Pläne noch viel Arbeit. Sie sehen vor, Russland zu zwingen, Öl künftig für einen deutlich niedrigeren Preis an grosse Abnehmer wie Indien zu verkaufen. In der EU und auch in den USA sind die hohen Spritpreise derzeit grosses Thema.
- Kampf gegen den Klimawandel: Rückendeckung bekam Scholz für seine Idee zur Einrichtung eines internationalen Klimaclubs. Man unterstütze einen solchen «offenen und kooperativen» Zusammenschluss und wolle ihn bis Ende 2022 einrichten, hiess es in der G7-Erklärung. Der Club soll vor allem die Minderung von Treibhausgas-Emissionen zum Ziel haben. Scholz sagte: «Wir sind uns alle einig, wo die Zukunft liegt, nämlich nicht beim Gas.»
Darum geht es beim zweitägigen Nato-Gipfel in Madrid:
- Streit um die Nord-Erweiterung: Bis kurz vor Gipfelbeginn war ungeklärt, wie der Streit mit der Türkei um die Aufnahme von Finnland und Schweden beigelegt werden kann. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg traf sich in Madrid vor den Beratungen in grosser Runde mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie Finnlands Präsidenten Sauli Niinistö und der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Die Türkei fordert von Schweden und Finnland neben der Einstellung der «Unterstützung von Terrororganisationen» auch die Auslieferung mehrerer Menschen, die in der Türkei unter Terrorverdacht stehen. Ausserdem wird die Aufhebung eines Waffenembargos gefordert.
- Drastische Vergrösserung der schnellen Eingreiftruppe: Die Nato will angesichts der russischen Aggression die Zahl ihrer schnellen Eingreifkräfte von rund 40’000 auf mehr als 300’000 erhöhen. Die Alliierten wollen über diesen Umbau der bisherigen Nato-Eingreiftruppe NRF beraten. Sie ist seit Monaten in Alarmbereitschaft. Die Transformation ist Teil eines neuen Streitkräfte-Modells für das gesamte Bündnisgebiet. Stoltenberg ging davon aus, dass beim Gipfel deutlich werde, dass die Partner Russland als die «bedeutendste und direkteste Bedrohung» ansehen.
(awp/mc/ps)