Russlands Präsident Dimitri Medwedew, US-Präsident Barack Obama mit Gastgeber Nicolas Sarkozy.
Deauville – Die demokratischen Reformen in Tunesien und Ägypten werden mit bis zu 40 Milliarden Dollar – umgerechnet gut 28 Milliarden Euro – belohnt. Die führenden Industriestaaten und Russland (G8) richteten am Freitag mit grosszügigen Kreditzusagen bis 2013 zugleich eine klare Botschaft an totalitäre Regime wie in Syrien und Libyen: Lasst den arabischen Frühling zu, der Wandel lohnt sich.
Die Kredite kommen von internationalen Finanzorganisationen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB), der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) sowie dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Der britische Premier David Cameron sagte zum Abschluss des G8-Gipfels im normannischen Seebad Deauville, wenn man alle Hilfszusagen zusammenzähle, könnte man auf die Zahl von 40 Milliarden Dollar kommen – die «fairere Zahl» sei aber 20 Milliarden.
Deutschland: Geld für Ausbildungs- und Arbeitsplätze
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ergänzte, die Hilfen für Tunesien und Ägypten zu dem 20-Milliarden-Paket der Finanzorganisationen könnten jeweils zusätzlich etwa 10 Milliarden Dollar aus G8- und EU-Staaten sowie arabischen Ländern kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wertete den G8-Gipfel als Erfolg. «Es geht jetzt vor allem darum, dass das Geld schnell zu den Menschen kommt», sagte sie vor der Abreise. Deutschland werde zudem 300 Millionen Euro Schulden Ägyptens umwandeln, um dort mit dem Geld bis zu 5000 Ausbildungsplätze und 10.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Übermässige Staatsverschuldungen bekämpfen
Nach Berechnungen des IWF benötigen die Länder im Nahen Osten und in Nordafrika in den Jahren zwischen 2011 und 2013 Hilfen von mehr als 160 Milliarden Dollar. Der amtierende IWF-Chef John Lipsky stellte eine entsprechende Studie in Deauville vor. Angesichts wachsender Risiken für die Weltwirtschaft durch übermässige Verschuldung selbst in reichen Ländern wie den USA und Japan wollen die G8 den eingeschlagenen Sparkurs noch verstärken. Vor allem die USA verpflichteten sich erstmals im Kreis der Partner, ihre Finanzen dauerhaft zu sanieren.
Oxfam: «Nichts als Worte»
US-Präsident Barack Obama räumte aber nicht nur freimütig Probleme mit der eigenen Verschuldung ein, sondern zeigte sich über die massive Schuldenkrise in Griechenland und die Gefahren für den Euro besorgt, wie europäische Diplomaten sagten. Schon bei ihrem vorherigen Treffen in Kanada im vergangenen Jahr hatten die G8 festgeschrieben, die Haushaltsdefizite bis 2013 zu halbieren und von 2016 an ihre Staatsschulden abzutragen. Zudem vereinbarten die G8 erstmals eine strategische Partnerschaft mit Afrika. Hilfsorganisationen kritisierten das Treffen der Staats- und Regierungschefs als vertane Zeit und einen weiteren Beweis für den Wortbruch der G8, den Ärmsten auf dem Planeten wirklich helfen zu wollen. Jörn Kalinski (Oxfam Deutschland) über die Gipfelergebnisse: «Nichts als Worte.»
Fukushima und arabischer Frühling
Zur G8 gehören die USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Japan und Russland. Nachdem am ersten Tag die Konsequenzen aus der japanischen Atomkatastrophe von Fukushima die Arbeit der Gipfelrunde bestimmt hatten, standen zum Abschluss die politischen Umwälzungen in der arabischen Welt im Mittelpunkt. Neben anderen Afrika-Vertretern nahmen die Regierungschefs von Ägypten und Tunesien am Gipfel teil. In Ägypten, dem grössten arabischen Land, und in Tunesien hatten friedliche Demonstranten ihre Herrscher binnen weniger Wochen von der Macht vertrieben. Die Europäer sind auch deshalb zu grosszügiger Hilfen bereit, weil sie grosse Flüchtlingsströme von dort fürchten. Für die meisten Tunesier und Ägypter ist die wirtschaftliche Lage schlecht.
Eindeutige Botschaft an Gaddafi…
Eindeutig war die Botschaft der G8 an den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi: «Er muss gehen.» Vor zwei Jahren war Gaddafi noch Gast der G8 bei ihrem Gipfel im italienischen L’Aquila. Zwei Monate nach Beginn der Militäraktion hält sich Gaddafi noch immer an der Macht. Obama und Sarkozy stellten klar, dass die Nato-Luftangriffe deshalb weitergehen müssten. «Wir sind entschlossen, die Arbeit zu Ende zu bringen», sagte Obama. Ähnlich äusserte sich Sarkozy: «Die Libyer haben ein Recht auf Demokratie.» Dennoch gab es in Deauville auch den Ansatz, den Konflikt in Libyen durch Vermittlung beizulegen. Russland sei dazu aufgefordert worden, sagte eine Sprecherin des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Deutschland, Grossbritannien und Frankreich zeigten sich skeptisch. Stellvertretend sagte Sarkozy: «Es gibt keine mögliche Vermittlung mit Herrn Gaddafi.»
…und weniger eindeutig an Assad
Vermutlich auf Druck Russlands schwächte die Gipfelrunde die Erklärung zum gewaltsamen Kurs des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gegen sein Volk ab. War im Entwurf noch von Massnahmen der Vereinten Nationen (UN) die Rede, so beschränkte sich die G8 in der endgültigen Fassung schlicht auf «weitere Massnahmen». Die Staats- und Regierungschefs forderten Assad eindringlich auf, endlich Reformen zuzulassen. Merkel lobte die erste gemeinsame Erklärung der G8-Staaten mit mehreren afrikanischen Staaten. «Das zeigt, dass wir eine Partnerschaft auf Augenhöhe miteinander haben.» Am Donnerstag hatten die Staats- und Regierungschefs vor allem über die Themen Nuklearsicherheit und Internet gesprochen. Die Gruppe der Acht setzt sich schärfere Sicherheitsstandards für die Kernenergie zum Ziel. (awp/mc/upd/ps)