Boulogne-Billancourt – Gut ein Jahr nach dem spektakulären Rücktritt von Carlos Ghosn beim Autobauer Renault beginnt ein komplizierter Rechtsstreit um viel Geld. Die Wogen schlagen hoch, obwohl der 65-Jährige «nicht in Frankreich ist», wie seine Anwältin diplomatisch formulierte.
Boulogne-Billancourt, ein eher schicker Pariser Vorort: Vor dem örtlichen Arbeits-Schiedsgericht fordert der einst allmächtige Autoboss in einem Eilverfahren von seinem früheren Arbeitgeber eine Zahlung von rund 250’000 Euro – eine Vergütung für den Übergang in die Rente. Das Gericht vertagte am Freitag die Anhörung auf Antrag von Ghosn Anwältin Laetitia Ternisien auf den 17. April.
Flucht aus Tokio
Ghosn war Anfang 2019 unter dem Druck eines riesigen Skandals in Japan als Renault-Chef zurückgetreten. Der Ex-Manager war am 19. November 2018 in Tokio unter anderem wegen des Verstosses gegen Börsenauflagen festgenommen und angeklagt worden. Im April 2019 wurde der einstige Herr des Autobündnisses mit Nissan und Mitsubishi unter Auflagen auf Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen. Ende Dezember wurde es kurios: Ghosn floh unter bisher nicht völlig geklärten Umständen in einem Privatjet nach Beirut, angeblich in einer Kiste versteckt.
Fahndungsgesuch von Interpol
Die Stimmung in Boulogne-Billancourt war seither gereizt. Ghosns Anwältin beklagte am Rande, Dokumente von Renault seien erst zu Wochenbeginn eingetroffen, für eine Prüfung habe die Zeit gefehlt. «Unser Mandant ist im Ausland», fügte sie hinzu. Und warum ist er nicht gekommen? «Ich bin da, um ihn zu vertreten. Das reicht», lautete die lapidare Antwort. Keine Rede ist davon, dass die internationale Polizeibehörde Interpol ein Fahndungsgesuch gegen Ghosn veröffentlichte. Der Libanon hatte zudem im Januar eine Ausreisesperre verhängt.
Die Gegenseite wunderte sich über die Verschiebung, die von dem Schiedsgericht für arbeitsrechtliche Streitfälle akzeptiert wurde. Ghosn habe doch ein Eilverfahren beantragt, stellte die Anwältin des Weltkonzerns, Yasmine Tarasewicz, fest. Der Traditionsautobauer argumentiert, Ghosn stehe die strittige Zahlung gar nicht zu: «Herr Ghosn war seit 2005 nicht Angestellter, sondern Manager», resümiert die Anwältin.
Konzern in der Krise
Ghosn hatte von der libanesischen Hauptstadt Beirut aus angekündigt, in Frankreich für seine Rente zu kämpfen. In einem Interview bezeichnete er seinen Rücktritt bei Renault als eine Posse, da er damals inhaftiert war. Der Konzern geriet nach dem Skandal in eine Krise, die noch nicht vorbei scheint. 2019 gab es zum ersten Mal seit zehn Jahren rote Zahlen, Fabrikschliessungen sind nun nicht ausgeschlossen.
Das kleine Arbeits-Schiedsgericht in Boulogne-Billancourt – dort ist Renault beheimatet – reicht für den riesigen Fall Ghosn bei weitem nicht aus. Der einstige Autoboss droht laut Medien damit, seine Forderung für eine jährliche Rentenzahlung von Renault von etwa 800 000 Euro vor Gericht zu bringen, ausserdem sind demnach noch Aktien im Wert von rund zwölf Millionen Euro strittig. (awp/mc/kbo)