Ginsburg-Nachfolge verkommt wie erwartet zum politischen Machtspiel
Washington – Trotz Protesten der US-Demokraten halten die Republikaner im Senat an einer schnellen Abstimmung über die Nachfolge der verstorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg fest. Der Mehrheitsführer der Republikaner in der Kammer, Mitch McConnell, sagte am Montag, der Senat werde noch in diesem Jahr über eine von US-Präsident Donald Trump nominierte Kandidatin für das Oberste US-Gericht abstimmen. Anders als von den Demokraten behauptet, gebe es dafür ausreichend Zeit und gute Gründe.
In den Reihen der Republikaner ist bislang kein entscheidender Widerstand gegen eine schnelle Abstimmung erkennbar. Zudem wird erwartet, dass die nötige einfache Mehrheit für die Bestätigung von Trumps Kandidatin zustande kommt. «Wir haben die Stimmen, um Richterin Ginsburgs Ersatz vor der Wahl zu bestätigen», sagte der Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, Lindsey Graham, am Montagabend (Ortszeit) bei Fox News. Senator Mitt Romney machte am Dienstag klar, dass er nichts gegen eine rasche Abstimmung einzuwenden habe. Der Senator aus Utah, der auch eine konservative Wählerschaft in seinem Staat bedienen muss, galt als möglicher Abweichler.
Die Verfassungsrichter werden vom Präsidenten nominiert und müssen im Senat bestätigt werden. Die Republikaner halten 53 von 100 Sitzen in der Parlamentskammer. Um die Nominierung zu stoppen, müssten vier Republikaner mit den Demokraten stimmen.
Konservative Mehrheit auf Jahrzehnte hinaus?
Die Besetzung der freigewordenen Stelle im Obersten US-Gericht könnte einschneidende Folgen für die gesellschaftspolitische Ausrichtung des Landes haben. Von den neun Sitzen im Supreme Court werden nach Ginsburgs Tod nur noch drei von Liberalen gehalten, die fünf verbliebenen Richter gelten als konservativ. Mit Entscheidungen etwa zum Recht auf Abtreibung, zu Einwanderungsfragen oder zu Bürgerrechten könnte ein deutlich konservativeres Amerika entstehen. Da die Richter auf Lebenszeit ernannt werden, könnte Trump die konservative Mehrheit mit der Ernennung einer vergleichsweise jungen Richterin auf Jahre oder gar Jahrzehnte hinaus zementieren.
Die Demokraten fordern, dass Ginsburgs Posten im einflussreichen Supreme Court vom Sieger der Präsidentenwahl am 3. November besetzt wird. Sie hoffen, dass ihrem Kandidaten Joe Biden als Wahlsieger das Vorschlagsrecht zufällt. Da bei der Wahl auch über die Neubesetzung von rund einem Drittel der 100 Senatssitze entschieden wird, könnten sich die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Demokraten drehen. Damit könnten sie Trumps Kandidaten blockieren. Der neue Senat tritt am 3. Januar zusammen. Der Gewinner der Präsidentenwahl wird am 20. Januar vereidigt.
Amy Coney Barrett als Favoritin
Am Samstag will Trump im Weissen Haus verkünden, wen er für den Richterposten nominieren will. Er bevorzugt eine Abstimmung vor der Wahl und will eine Frau für Ginsburgs Nachfolge vorschlagen. Fünf Kandidatinnen seien in der engeren Auswahl, hatte er am Montag gesagt. Trump bestätigte, dass darunter die Richterinnen Amy Coney Barrett (48) aus Chicago und Barbara Lagoa (52) aus Florida sind, die von US-Medien als Favoritinnen gehandelt werden. Barrett und Lagoa werden als konservative Katholikinnen beschrieben, die beispielsweise Abtreibung ablehnen.
Ginsburg hingegen war eine liberale Frauenrechtlerin und Ikone der Bürgerrechtsbewegung. Sie war am Freitag mit 87 Jahren nach einer Krebserkrankung gestorben. In Washington sind diese Woche mehrere Gedenkzeremonien für die langjährige Verfassungsrichterin geplant. Das Begräbnis ist nach Supreme-Court-Angaben erst kommende Woche im privaten Rahmen auf dem Nationalfriedhof in Arlington vorgesehen.
Trump zog am Montag Berichte in Zweifel, wonach Ginsburg als letzten Wunsch geäussert habe, dass ihre Nachfolge von einem neuen Präsidenten bestimmt werden solle. Trump sagte Fox News, er wisse nicht, ob Ginsburg das tatsächlich gesagt habe oder dies von den seinen demokratischen Gegenspielern im Kongress formuliert worden sei. Ginsburgs Enkelin Clara Spera bestätigte dem britischen Sender BBC, dass ihre Grossmutter ihr diktiert habe: «Mein inbrünstigster Wunsch ist, dass ich nicht ersetzt werde, bis ein neuer Präsident im Amt ist.»
Der Minderheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, forderte seinen republikanischen Gegenspieler McConnell dazu auf, Ginsburgs Wunsch zu respektieren. Schumer verwies darauf, dass McConnell im Wahljahr 2016 im Senat einen Kandidaten von Präsident Barack Obama für die Nachfolge des verstorbenen konservativen Verfassungsrichters Antonin Scalia blockiert hatte. McConnell hatte mehr als acht Monate vor der Wahl 2016 gesagt: «Das amerikanische Volk soll eine Stimme bei der Auswahl seines nächsten Supreme-Court-Richters haben, deshalb soll dieser Posten nicht besetzt werden, bis wir einen neuen Präsidenten haben.»
Der Streit um die Nachfolge dürfte die heisse Phase des US-Wahlkampfs prägen. Trump warnte am Montag bei einem Auftritt: «Falls Joe Biden und die Demokraten an die Macht kommen, werden sie den Supreme Court voll mit Linksradikalen packen, die die amerikanische Gesellschaft einseitig bis zur Unkenntlichkeit verändern werden.» Trumps Anhänger skandierten «Fill the Seat» – auf Deutsch in etwa: Besetze den Sitz. (awp/mc/pg)