Tel Avov / Gaza / Berlin – Israel ist am jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora) von einer grossangelegten Militäraktion der islamistischen Hamas überrascht worden. Eine erste Bilanz der Behörden sprach von Dutzenden Toten, Hunderten Verletzten und einer nicht bekannten Zahl verschleppter Israelis. «Bürger Israels, wir sind im Krieg», beschrieb Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Samstag das Ausmass der Angriffe.
Der Überraschungsangriff startete genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973. Der damalige Angriff feindlicher arabischer Staaten auf Israel am höchsten jüdischen Feiertag gilt als bislang schwerstes nationales Trauma.
Hamas-Militärchef Mohammed Deif sagte in einer Botschaft, die Organisation habe beschlossen, israelischen Verbrechen – wie er es nannte – ein Ende zu setzen. Hamas griff vom Gazastreifen massiv aus der Luft, am Boden und von See aus an. Die EU, die USA und Israel stuft die Hamas als Terrororganisation ein.
Deif gilt seit Jahrzehnten als «Phantom». Israel hatte nach Medienberichten immer wieder versucht, ihn zu töten. Im Gaza-Krieg 2014 hatte das Militär Deifs Haus angegriffen und dabei seine Frau und seinen kleinen Sohn getötet. Deif selbst konnte damals entkommen.
Eine erste israelische Bilanz
Nach israelischer Darstellung wurden mindestens 100 Israelis getötet, als die Angreifer in verschiedene Ortschaften im Grenzgebiet eindrangen und sich dort nach Medienberichten auch mit Geiseln in Häusern verschanzen. Mehrere Israelis wurden in den Gazastreifen verschleppt, wie ein Armeesprecher sagte – darunter auch Soldaten. Eine Zahl der Entführten nannte er nicht. Rund 900 Menschen sollen verletzt worden sein.
Verteidigungsaktion «Iron Swords» – Israel zieht Reservisten ein
Das Land wurde nach Militärangaben auch offiziell in Kriegsbereitschaft versetzt, Tausende Reservisten wurden einberufen. Die israelische Armee nannte ihre Verteidigungsaktion «Iron Swords» (Eisenschwerter). Netanjahu nannte diese Ziele für die Operation gegen die Hamas:
- «Das Gebiet von den feindlichen Truppen zu säubern, die eingedrungen sind». Die Hamas werde einen «immensen Preis» zahlen.
- Es sei wichtig, weitere Fronten zu sichern, «damit niemand den Fehler begeht, in diesen Krieg einzutreten». Israels Armee sichert vor allem die Nordgrenze aus Sorge vor einem möglichen Angriff der libanesischen Hisbollah-Miliz.
Israels Reaktion: Schwere Luftangriffe auf den Gazastreifen
Als Reaktion auf den Angriff mit 2220 Raketen bombardierten israelische Kampfflugzeuge Hamas-Ziele im Gazastreifen. Dabei wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza mindestens 198 Menschen getötet und mehr als 1600 verletzt.
Wegen der Raketenangriffe heulten in Städten Israels immer wieder die Warnsirenen, wie die Armee mitteilte. Auch in Tel Aviv und Jerusalem war Alarm zu hören. Das Militär rief die Einwohner der südlichen und zentralen Landesteile auf, in geschützten Bereichen zu bleiben. Verteidigungsminister Joav Galant erklärte eine besondere Sicherheitslage im Umkreis von bis zu 80 Kilometern vom Gazastreifen.
International grosse Solidarität mit Israel
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Regierungen Italiens, Spaniens, Frankreichs und Grossbritanniens sowie die Europäische Union verurteilten die Angriffe aufs Schärfste. Die Vereinigten Staaten stellten sich klar an die Seite Israels.
Der Iran hingegen gratulierte der Hamas und sprach von einem «Wendepunkt» des bewaffneten Widerstands gegen Israel.
Das Aussenministerium in Kairo teilte mit, Ägypten bemühe sich intensiv um eine Beruhigung der Lage.
Verstärkte Sicherheitsmassnahmen in Berlin
Die Polizei verstärkte den Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen in Berlin, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr. Die Gefährdungsbewertungen für solche Einrichtungen werden demnach laufend aktualisiert und Schutzmassnahmen erhöht, wo dies erforderlich sei. «In Berlin ist der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen heute bereits verstärkt worden.»
Jüdische Einrichtungen müssten jetzt besonders geschützt werden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die auch Spitzenkandidatin der hessischen SPD ist, bei einer Wahlkampfveranstaltung in Marburg. «Und auch dafür stehe ich persönlich ein, aber auch die Innenminister aus allen Bundesländern.»
Weniger Flüge von Europa nach Israel
Die Schweizer Lufthansa-Tochter Swiss stellte ihren Flugverkehr nach Israel ab Samstagabend wegen Sicherheitsbedenken ein. Die Lufthansa reduzierte ihre Flüge. Das Schweizer Aussenministerium rät von Reisen nach Israel ab. (awp/mc/ps)