London – Es heisst schlicht «Herbst-Statement». Doch was der britische Finanzminister Jeremy Hunt am Donnerstag vorgelegt hat, könnte für Regierung und Verbraucher zu einem Winter-Schock werden. Für Hunt geht es um nicht weniger als die Rettung der heimischen Wirtschaft. Ohnehin erhöhen die Furcht vor einer lang andauernden Rezession, die grassierende Inflation und hohe Energiekosten den Druck. Wegen der desaströsen Finanzpolitik von Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss müssen Hunt und Regierungschef Rishi Sunak aber nun auch noch die Märkte beruhigen. Die Rechnung zahlen die Verbraucher, wie die Opposition kritisierte.
Seine Priorität laute «Stabilität, Wachstum und öffentliche Dienstleistungen», sagte Hunt im Londoner Unterhaus. Mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Höhe von insgesamt 55 Milliarden Pfund (62,9 Mrd Euro) will er vor allem die Staatsfinanzen ausgleichen, die Märkte beruhigen und die Inflation in den Griff bekommen. Zwar kündigte Hunt zugleich mehr Ausgaben für den maroden Gesundheitsdienst NHS sowie Schulen an. Die Renten sollen im Einklang mit der Inflation steigen und der Mindestlohn um knapp 10 Prozent auf 10,42 Pfund pro Stunde.
Doch tatsächlich nimmt der Druck auf die Verbraucher zu, wie Ökonomen betonen. Der Chef der Denkfabrik Resolution Foundation, Torsten Bell, verwies auf Schätzungen der Aufsichtsbehörde Office for Budget Responsibilty (OBR), dass die Haushaltseinkommen 2022 und 2023 jeweils um sieben Prozent fallen. Zudem müssen sich Millionen Menschen auf weiter steigende Energierechnungen einstellen, wenn die Regierung von April 2023 an ihre Unterstützung zurückfährt. Hinzu kommen höhere Steuern für Millionen. Hunt senkt die Schwelle, von der an der Spitzensteuersatz von 45 Prozent gezahlt werden muss, von 150 000 auf 125 140 Pfund. Vor allem aber friert er die Steuerfreibeträge für zwei weitere Jahre bis 2028 ein – wegen steigender Inflation und Löhne werden viele Menschen in höhere Steuerklassen rutschen.
Düstere Lage
Die Lage ist düster. Grossbritannien befinde sich bereits in einer Rezession, sagte Hunt unter Berufung auf eine OBR-Prognose. Für das kommende Jahr erwarten die Experten, dass die britische Wirtschaft um 1,4 Prozent schrumpft. Die Inflation betrug zuletzt 11,1 Prozent, so viel wie seit 41 Jahren nicht mehr. In zahlreichen Branchen streiken die Beschäftigten für höhere Löhne, die Ausstände belasten die Konjunktur schwer, wie das Statistikamt kürzlich ermittelte.
Ursprünglich war das Herbst-Statement für den 23. November geplant, dann auf den 31. Oktober vorgezogen worden. Die finanzpolitischen Vorhaben von Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss hatten an den Finanzmärkten heftige Turbulenzen ausgelöst. Truss wollte radikal Steuern senken und diese erwarteten Kosten in Höhe von mehreren Dutzend Milliarden Pfund nur mit neuen Schulden gegenfinanzieren. Damit räumte Hunt schnell auf. Doch das Vertrauen der Wirtschaft ist noch immer gering. Truss-Nachfolger Rishi Sunak räumte ein, es gehe in erster Linie darum, den Erwartungen der Märkte zu entsprechen.
Druck auf Hunt
Der Druck auf Hunt ist entsprechend gross. Spannend wird sein, ob seine konservative Parlamentsfraktion mitzieht. Denn zwischen Sunak und den Vertrauten seiner Vorgängerin Truss herrscht derzeit ein fragiler Friede. Viele Konservative sehen die Steuererhöhungen, die mit einer Erhöhung der Übergewinnsteuer auch Energiekonzerne treffen, äusserst kritisch. Schon jetzt ist die Steuerlast so hoch wie seit 70 Jahren nicht mehr.
Bei der Opposition hat Hunt bereits verloren. Dass er zuvorderst die vom russischen Krieg gegen die Ukraine ausgelöste Wirtschaftskrise verantwortlich machte, sorgte für Empörung. Es seien die Tories, die in den zwölf Jahren ihrer Regierung die Wirtschaft zerstört hätten, sagte die Finanzpolitikerin Rachel Reeves von der Labour-Partei und verglich die Regierungspartei mit Taschendieben. Gut verdienende Banker, deren Obergrenze für Bonuszahlungen gestrichen wird, sowie reiche Ausländer, die ihre Einkommen nicht in Grossbritannien versteuern müssen, kämen ungeschoren davon, während hart arbeitende Menschen die Zeche zahlen müssten, kritisierte Reeves.
In Umfragen liegt Labour deutlich vor den Tories und könnte nach der für 2024 geplanten Wahl die Regierung stellen. Doch dann droht den Sozialdemokraten eine Falle, die ihnen Hunt gestellt hat. Der Schatzkanzler kündigte am Donnerstag an, dass die Regierungsausgaben real nur noch um 1 Prozent pro Jahr zulegen dürfen, derzeit sind es 3,7 Prozent. Doch das gilt erst von 2025 an – also nach der Wahl. (awp/mc/ps)