Höchstes US-Gericht kippt das Recht auf Abtreibung
Washington – Der Supreme Court hat das historische «Roe v. Wade»-Urteil aufgehoben. Der Oberste Gerichtshof der USA macht damit den Weg für schärfere Abtreibungsgesetze frei – bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen Bundesstaaten.
Seit fast fünf Jahrzehnten galt in den USA ein landesweites Recht auf Abtreibung – nun hat das Oberste Gericht dies verworfen. Sechs der neun Richter am Supreme Court stimmten für diese Entscheidung. Dies hatte sich bereits abgezeichnet, nachdem Anfang Mai ein Urteilsentwurf durchgestochen worden war.
Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche möglich
In einem Grundsatzurteil hatte der Supreme Court 1973 im Fall Roe v. Wade landesweit Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus, also etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche, ermöglicht. Damals leitete das Gericht ein bundesweites Recht auf Abtreibung aus dem Recht von Frauen auf Privatsphäre ab. Diese Entscheidung war mehrmals bestätigt worden.
«Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung», heisst es nun in der Urteilsbegründung. Die US-Verfassung erwähne Abtreibung nicht, und das Recht darauf sei auch nicht implizit aus anderen Regeln abzuleiten.
Bundesstaaten können eigene Gesetze erlassen
Mit dem neuen Urteil des Obersten Gerichts können die 50 Bundesstaaten über ein Recht auf Abtreibung auf der jeweiligen Landesebene entscheiden. Mehrere von ihnen haben bereits Gesetze erlassen, die nach dem nun erfolgten Wegfall der bundesstaatlichen Regelung die Abtreibung stark einschränken. Es steht zu erwarten, dass etwa die Hälfte aller Bundesstaaten diesen Weg einschlägt. Bei Zuwiderhandlungen drohen drakonische Strafen. In Oklahoma beispielsweise können Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, künftig mit bis zu zehn Jahren Haft und 100.000 Dollar Bussgeld bestraft werden.
Die Demokraten von Präsident Joe Biden wollten das Recht auf Abtreibungen deswegen in einem Bundesgesetz landesweit festschreiben. Ein entsprechender Gesetzentwurf war Mitte Mai aber im Senat gescheitert.
Unter dem vorigen Präsidenten Donald Trump rückte der Supreme Court deutlich nach rechts. Der Republikaner ernannte während seiner Amtszeit die Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Die Richterinnen Sonia Sotomayor und Elena Kagan sowie Richter Stephen Breyer stimmten gegen die Entscheidung. Sie gelten als liberal.
Proteste nach Urteilsverkündung
Das Urteil führt zu Kundgebungen in den USA. Auch der ehemalige Präsident Barack Obama hat zum Widerstand aufgerufen. «Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen – und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen», schrieb Obama bei Twitter.
Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verurteilte das Urteil mit scharfen Worten. «Es ist ein Schlag ins Gesicht für Frauen», sagte die Demokratin am Freitag. Die Beschränkung von Abtreibung sei erst der Anfang, warnte sie. «Das ist todernst.» (mc/pg)