IATA-Generaldirektor Tony Tyler.
Genf – Europas Fluggesellschaften drohen nach Einschätzung der Weltluftfahrt-Organisation IATA im kommenden Jahr tiefrote Zahlen. Unter dem Strich dürfte die Branche mit Grössen wie Lufthansa, Air France-KLM , British Airways und Ryanair auf dem alten Kontinent einen Verlust von 600 Millionen Dollar einfliegen, kündigte IATA-Chef Tony Tyler am Mittwoch in Genf an.
Sollte sich die europäische Staatsschuldenkrise zu einer Bankenkrise ausweiten, würde dies die Branche nach Berechnung der IATA mit mehr als acht Milliarden Dollar in die roten Zahlen reissen, gut die Hälfte davon in Europa. «Die Aussichten sind sehr schwierig, vor allem für die europäischen Fluggesellschaften», sagte Tyler. Neben dem schwachen wirtschaftlichen Umfeld machen den Unternehmen die Ticketsteuern in Deutschland und anderen Staaten zu schaffen. Ab Januar 2012 kommen voraussichtlich neue Kosten für Emissionsrechte hinzu, die die EU für Flüge in und aus der Union verlangen will. Ausserdem dürften die Ausgaben für Kerosin weiter in die Höhe klettern.
Billigflieger ebenso betroffen wie klassische Airlines
«Der Wirtschaftsabschwung wird die Billigflieger im kommenden Jahr ebenso treffen wie die klassischen Linienfluggesellschaften», sagte IATA-Chefökonom Brian Pearce. Noch mehr fürchtet die IATA, dass sich die Krise deutlich verschärft: «Das grösste Risiko für die Gewinne der Fluglinien im nächsten Jahr sind die wirtschaftlichen Turbulenzen, falls die Regierungen die europäische Staatsschuldenkrise nicht lösen», ergänzte Tyler. Dann drohten Milliardenverluste, so hoch wie seit der Finanzkrise von 2008 nicht mehr. Doch auch wenn eine Bankenkrise ausbleibe, werde Europa um eine kurze Rezession nicht herumkommen.
Deutlicher Gewinneinbruch bereits 2011
Für 2012 erwartet die IATA in diesem Fall weltweit einen Branchengewinn von 3,5 Milliarden Dollar – 1,4 Milliarden weniger als zuletzt vorhergesagt. Im laufenden Jahr liefen die Geschäfte in der Luftfahrt noch deutlich besser – wenn auch nicht ungetrübt. Die Gewinnprognose für 2011 hielt der Verband mit 6,9 Milliarden Dollar aufrecht. Bei Europas Fluglinien dürften die Überschüsse mit 1,0 Milliarden Dollar jedoch geringer ausfallen als bislang angekündigt. Dabei dürfte die Nachfrage im Passagiergeschäft weiter zulegen – wenn auch schwächer als bislang. Für 2011 erwartet die IATA weltweit ein Passagierplus von 6,1 Prozent, etwas mehr als die bisher angepeilten 5,9 Prozent. Für 2012 sagt der Verband nun ein Wachstum von vier Prozent voraus.
Stagnation im Frachtgeschäft
Im Frachtgeschäft erwartet die IATA eine Stagnation – das bisher erwartete Plus von gut vier Prozent ist ausser Sicht. 2011 ging die Entwicklung hier bereits nach unten: Für das Gesamtjahr sagt der Verband im Frachtgeschäft bereits ein Minus von einem halben Prozent voraus. Die Frachtentwicklung gilt als Frühindikator für die Wirtschaftsentwicklung. Wenn die Fracht zurückgeht, deutet dies auf einen bevorstehenden Abschwung in der Gesamtwirtschaft hin. Legt sie plötzlich zu, ist in den nachfolgenden Monaten mit einer Erholung der Wirtschaft zu rechnen. (awp/mc/upd/ps)