Ifo-Geschäftsklima bricht wegen Ukraine-Krieg ein
München – Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich angesichts des Ukraine-Kriegs stark verschlechtert. Das Ifo-Geschäftsklima, Deutschlands wichtigstes Konjunkturbarometer, fiel von Februar auf März um 7,7 Punkte auf 90,8 Zähler, wie das Ifo-Institut am Freitag in München mitteilte. Analysten hatten zwar mit einer Eintrübung gerechnet, allerdings mit einer moderateren auf im Schnitt 94,2 Punkte.
«Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist eingebrochen», kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die Unternehmen in Deutschland rechneten mit harten Zeiten. Besonders stark trübten sich die Erwartungen der Unternehmen ein, die aktuelle Lage verschlechterte sich dagegen moderater. Das Geschäftsklima trübte sich in allen betrachteten Bereichen ein. Im verarbeitenden Gewerbe sei es so stark gefallen wie noch nie, erklärte das Ifo-Institut.
«Die Stimmungseintrübung kommt angesichts der Kriegsfolgen nicht überraschend», erklärte Ralf Umlauf, Analyst der Landesbank Hessen-Thüringen. Nach Einschätzung von Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, ist die Botschaft eindeutig: Die deutsche Wirtschaft rutsche mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Rezession. Die stark gestiegenen Energiekosten, die an Schärfe gewonnene Lieferkettenproblematik und die immer noch nicht verdauten wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wiesen die deutsche Wirtschaft in die Schranken.
«Wie sich die Dinge innerhalb nur eines Monats doch ändern können», kommentierte Jörg Zeuner, Chefökonom von Union Investment. Nachdem sich im Januar und Februar noch Zuversicht breitgemacht habe, überwiege jetzt der Pessimismus. «Ein Grossteil der Unternehmen blickt mit viel Skepsis in die nächsten Monate. Man kann es ihnen angesichts der jüngsten Entwicklungen kaum verdenken.»
Weitere Stimmen von Ökonomen
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank
«Das Ifo-Geschäftsklima ist viel stärker eingebrochen, als die vorab befragten Volkswirte befürchtet hatten. Die Unternehmen sorgen sich um die hohen Risiken, denen die deutsche Wirtschaft gegenwärtig ausgesetzt ist. Käme es beispielsweise zu einem westlichen Boykott russischen Öls, wäre der internationale Ölmarkt beträchtlich unterversorgt, sodass der Ölpreis nach oben katapultiert würde. In diesem Szenario wäre eine Rezession wahrscheinlich, zumal Russland auf einen Ölboykott mit einem Stopp seiner Gaslieferungen reagieren könnte.»
Andrew Kenningham, Chefvolkswirt Europa Capital Economics
«Der Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas im März ist ein weiterer Beweis dafür, dass die deutsche Wirtschaft auf eine deutliche Abschwächung zusteuert, da der Krieg in der Ukraine und die himmelhohen Energiepreise die Produktionsleistung schrumpfen lassen. Wir gehen jedoch nach wie vor davon aus, dass eine Rezession wahrscheinlich vermieden wird.»
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING
«Der Krieg in der Ukraine hat sich nun auf die deutschen Wirtschaftsdaten ausgewirkt. Die Erwartungen sind auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Corona-Pandemie gesunken, da deutsche Unternehmen offenbar erkennen, dass der Krieg für die deutsche Wirtschaft mehr als je zuvor ein Wendepunkt für die deutsche Wirtschaft ist.»
Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa DWS
«Die Geschäftsaussichten deutscher Unternehmen haben sich in beispiellosem Tempo verschlechtert. Der Erwartungsindikator stürzte im Verarbeitenden Gewerbe, im Dienstleistungssektor und im Handel so stark ab wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Invasion russischer Truppen in die Ukraine, die Eskalation des aktuellen Kriegsgeschehens und die zunehmend aggressivere Rhetorik lassen die Unternehmen sehr besorgt in die Zukunft schauen. Auch wenn bisher russisches Gas ungehindert nach Europa kommt, wächst doch die Sorge, ob dies auch noch für die kommenden zwölf Monate gilt. Das setzt der Industrie zu. Die hohen Inflationsraten und die damit einhergehenden Reallohnsenkungen belasten hingegen die Aussichten im Handel, im Baugewerbe und im Dienstleistungssektor.»
Ulrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank
«Die Unternehmen spüren, dass sie im Bereich Energie und Rohstoffe vor einem plötzlichen und radikalen Umbau der Wirtschaftsstrukturen von historischem Ausmass stehen. Das schafft enorme Unsicherheit, die sich erst langsam wieder geben wird, wenn sich die Rahmenbedingungen für die Produktion in den kommenden Monaten hoffentlich klären.»
Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg
«Das war in etwa der erwartete Absturz. Typisch ist das extreme Auseinanderlaufen von Lage und Erwartungen. Effektiv ist vielleicht noch gar nicht viel passiert, aber kriegsbedingt ist die Unsicherheit sehr gross. Vor allem beäugen viele Unternehmen misstrauisch die steigenden Energiepreise sowie die Stabilität ihrer Lieferketten. In den letzten Tagen haben wir schon einige Prognosesenkungen für das laufende Jahr gesehen. Aus heutiger Sicht ist das absolut gerechtfertigt. Wir müssen uns auf ein schwieriges zweites Quartal gefasst machen. Weiter kann man im Nebel der Kriegsfolgen derzeit kaum vorausschauen.»
Ralf Umlauf, Analyst der Landesbank Hessen-Thüringen
«Die Stimmungseintrübung kommt angesichts der Kriegsfolgen nicht überraschend und hatte sich mit den schwächeren Umfragen der letzten Tage/Wochen bereits angekündigt. Zeitpunkt und Ausmass, vor allem des Rückgangs der Erwartungen, sind dennoch ungünstig, hatte sich das wichtige Stimmungsbarometer doch erst in den letzten Monaten von der Abwärtsbewegung seit Sommer 2021 lösen können. Zudem ist nun das tiefste Niveau seit mehr als einem Jahr zu beklagen, was auf die sich eintrübende konjunkturelle Perspektive hinweist.» (awp/mc/pg)