Hupkonzerte und fliegende Händler: am Nil sind die Menschen auf dem Weg zurück zur Normalität (Bild vom Morgen des 21. März 2011).
Aus Kairo berichtet Gérard Al-Fil.
Gerade haben die Ägypter mit grosser Mehrheit (77 Prozent) einer Verfassungänderung zugestimmt. Rund 44 prozent der 45 Millionen Wahlberechtigten gingen am Samstag an die Urnen, deutlich mehr als bei früheren Wahlen unter dem ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak. Der «Rais» war nach wochenlangen Protesten in der «Hauptstadt Arabiens», wie Kairo auch genannt wird, am 11. Februar zurück getreten und ist seitdem untergetaucht. Eine Militärregierung verwaltet das Land interimistisch.
Die neue Konstitution sieht u. a. vor, dass nur Ägypter ohne doppelte Staatsbürgerschaft und mit zwei ägyptischen Elternteilen Präsident werden können. Eine Steigerung der restriktiven Kandidatenregel in den USA: dort darf nur ins Weisse Haus einziehen, wer in Amerika geboren wurde. Neu ist aber auch, dass der Staatschef – wie in den USA – nur maximal für zwei Amtszeiten à vier Jahre das Land führen darf.
«Land des Lächelns» im politischen Niemandsland
In Kairo empfangen die Menschen Besucher aus dem Ausland mit noch mehr Freundlichkeit, als es Nil-Reise sonst gewohnt sind. Handel und Tourismus sind in dem vergleichsweise rohstoffarmen Staat in Nordostafrika wichtige Einnahmequellen. Für Ägypter, die Frohnaturen im Mittleren Osten, war es ein Schock, als auf dem Höhepunkt der Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz plötzlich Urlauber und Geschäftsleute ausblieben. «Seit Anfang März füllen sich die Hotels peu à peu wieder», sagt Taxi-Fahrer Walid.
Von der Armee werden nurmehr Gebäude der Regierung bewacht, ansonsten sind die Panzer und Geschütze vom Stadtbild verschwunden – obgleich es sporadisch zu Demonstrationen und Zusammenstössen zwischen Anhängern der unterschiedlichen politischen Lager kommt. Auch die christlichen Kopten gerieten in der Nach-Mubarak-Ära erneut ins Visier unbekannter Attentäter. Das Lächeln der Sphinx kann den fragilen Frieden in Ägypten nicht vollständig kaschieren.
Die meiste Zeit plaudert Walid denn auch über Politik. «El-Baradei? Nein, ihn wollen wir nicht zum Präsidenten…» Mohammed El-Baradei, Friedensnobelpreisträger und ehemaliger Chef der Atomenergiebehörder IAEA in Wien weiss in seiner Heimat nur eine Minderheit hinter sich. «Dann lieber Amr Moussa», Mubaraks ehemaliger Aussenminister und seit 2001 Generalsekretär der Arabischen Liga, fügt Walid hinzu. Innerhalb von sechs Monaten sollen Präsidentenwahlen abgehalten werden.
Plötzlich Sympathie für Gaddafi
Zur selben Zeit, als die Ägypter am vergangenen Samstag an die Urnen gingen, um über eine neue Verfassung abzustimmen, flogen Kampfbomber der NATO-Staaten USA, Grossbritanniens und Frankreichs Luftangriffe auf Libyen. «Wieder fallen Bomben auf ein arabisches Land», empört sich Walid. Schon schlägt die zuvor weit verbreitete Antipathie gegen Libyens Revolutionsführer Gaddafi in zaghafte Sympathie für den «Michael Jackson» der Nahostpolitik um. «Wir Araber wollen unsere Zukunft selbst gestalten und nicht diese ständige Einmischung von aussen.“ Auch deshalb ist El-Baradei in seiner Heimat chancenlos. «Der war zu lange in Wien», heisst es auf Kairos ewig verstopften Strassen.