Israel bombardiert nach Hamas-Angriffen Gazastreifen weiter
Tel Aviv/Gaza – Die israelische Luftwaffe hat nach den überraschenden Grossangriffen militanter Palästinenser auch in der Nacht zum Sonntag weitere Ziele im Gazastreifen attackiert. Auf beiden Seiten kamen bislang Hunderte von Menschen ums Leben.
Ziel sei es, die militärischen und regierungstechnischen Kapazitäten der islamistischen Hamas und des Islamischen Dschihad so zu zerstören, «dass sie für viele Jahre nicht mehr in der Lage und bereit sind, die Bürger Israels zu bedrohen und anzugreifen», gab das Büro von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts am frühen Sonntagmorgen bekannt. Die Ausfuhr von Strom, Brennstoff und Waren in den Gazastreifen wurde gestoppt.
«Wir beginnen einen langen und schwierigen Krieg, der uns durch einen mörderischen Angriff der Hamas aufgezwungen wurde», sagte Netanjahu nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts. «Wir werden alle Orte, an denen die Hamas organisiert ist und sich versteckt, in Trümmerinseln verwandeln», hatte er zuvor in einer Ansprache gesagt.
Die Bewohner des Gazastreifens forderte er auf: «Flieht jetzt von dort, denn wir werden überall und mit all unserer Kraft handeln». Israel werde Rache nehmen. «Dieser Krieg wird Zeit brauchen», so der israelische Premier. «Es liegen noch herausfordernde Tage vor uns.»
Unterstützt von einem Hagel Tausender Raketen waren Hamas-Kämpfer aus dem blockierten Gazastreifen am Samstag in nahe gelegene israelische Städte eingedrungen. Dabei töteten sie mehrere Menschen und verschleppten eine unbekannte Zahl Soldaten und Zivilisten, darunter laut Medien auch Kinder, in den Gazastreifen.
Mehrere israelische Städte, darunter die Küstenmetropole Tel Aviv wurden zum Ziel heftiger Raketenangriffe. Der Sprecher der Hamas, Ghazi Hamad, erklärte unterdessen dem Sender BBC, die Gruppe habe direkte Unterstützung für den Angriff vom Iran erhalten. Der Iran habe sich verpflichtet, «den palästinensischen Kämpfern bis zur Befreiung Palästinas und Jerusalems beizustehen». Die Hamas wird von der EU, USA und Israel als Terrororganisation eingestuft.
300 Tote in Israel, 256 im Gazastreifen
Bislang kamen in Israel nach Medienberichten mindestens 300 Menschen ums Leben. Rund 1590 Menschen seien verletzt. Die Angriffe trafen Israel am jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora) vollkommen überraschend. Das israelische Militär begann daraufhin mit Gegenschlägen im Gazastreifen. Auf palästinensischer Seite wurden mindestens 256 Menschen getötet und knapp 1800 verletzt, meldete das Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Israelische Einsatzkräfte töteten zudem in der an den Gazastreifen grenzenden Stadt Sderot mehrere mutmassliche Hamas-Angehörige an einer Polizeistation.
Zudem konnten israelische Soldaten nach Medienberichten Geiseln, die in einem Haus in Ofakim an der Grenze zum Gazastreifen festgehalten worden seien, wieder befreien. Sie hätten das Gebäude gestürmt und zehn Terroristen getötet, berichtete die Nachrichten-Website Ynet und der Sender i24NEWS. Drei israelische Soldaten seien verletzt worden.
Die erste Phase ende jetzt mit der «Vernichtung des grössten Teils der feindlichen Kräfte, die in unser Gebiet eingedrungen sind», hiess es nach der Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts. Zugleich habe man eine Offensivphase eingeleitet, die solange fortgesetzt werde, bis die Ziele erreicht seien. «Wir werden die Sicherheit der Bürger Israels wiederherstellen und wir werden siegen», hiess es.
Die israelische Armee evakuiert zudem angesichts des Kriegs mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas-Organisation die israelischen Ortschaften im Grenzgebiet. Tausende von Menschen sollten an andere Orte in Israel gebracht werden, sagte der israelische Armeesprecher Richard Hecht am Sonntag.
Beschuss auch aus dem Libanon
Israel ist nach Angaben eines Militärsprechers auch aus dem Libanon beschossen worden. Artillerie der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) würden das Gebiet im Libanon, von dem aus kurz zuvor auf israelisches Gebiet geschossen worden sei, unter Feuer nehmen, teilte IDF-Sprecher Daniel Hagari am Sonntag auf der Plattform X (vormals Twitter) mit. Die israelischen Streitkräfte seien auf alle Szenarien vorbereitet und würden auch weiterhin die Sicherheit der Bewohner Israels schützen.
Die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah hat inzwischen die Verantwortung für den Raketenbeschuss von durch Israel besetzte Gebiete übernommen. «Auf dem Weg zur Befreiung dessen, was von unserem besetzten libanesischen Land übrig geblieben ist», hiess es in einer Erklärung der eng mit dem Iran verbündeten Hisbollah am Sonntag.
Unterdessen geht die Gewalt auch im Westjordanland weiter. Bei Zusammenstössen mit der israelischen Armee wurden am Samstag in mehreren Orten sechs Palästinenser getötet, darunter ein 13 Jahre alter Junge, wie das Gesundheitsministerium in Ramallah mitteilte. Ein weiterer Mann wurde palästinensischen Angaben zufolge nach einem versuchten Messerangriff von israelischen Soldaten erschossen.
Notstandsregierung?
Im Hintergrund liefen unterdessen in Israel am Abend Gespräche über die Bildung einer Notstandsregierung. Regierungschef Benjamin Netanjahu habe den beiden Oppositionsführern Jair Lapid und Benny Gantz den Eintritt in eine Notstandsregierung angeboten, teilte ein Sprecher von Netanjahus Likud-Partei mit.
Zuvor hatte Lapid bereits die Bereitschaft dazu signalisiert. Medienberichten zufolge soll ein Treffen zwischen Lapid und Gantz jedoch ohne Einigung geblieben sein. (awp/mc/ps)