Israel gedenkt seiner getöteten Soldaten – Die Nacht im Überblick
Tel Aviv – Der israelische Staatspräsident Isaac Herzog hat am alljährlichen Gedenktag für die getöteten Soldaten und Terroropfer des Landes den Selbstbehauptungswillen Israels unterstrichen. «Ich erinnere uns und die gesamte Welt daran: Wir wollten niemals diesen schrecklichen Krieg. Nicht diesen und nicht seine Vorgänger», sagte er am Sonntagabend auf der zentralen Feier an der Klagemauer in Jerusalem. «Aber so lange unsere Feinde uns zerstören wollen, werden wir das Schwert nicht niederlegen.» Der Gaza-Krieg zwischen Israels Armee und palästinensischen Extremisten geht derweil weiter, im Norden und Süden des Gazastreifens gab es weitere Kämpfe. Die geplante Grossoffensive Israels in der Stadt Rafah will die US-Regierung zwar nicht unterstützen, davon abgesehen sicherte sie dem Verbündeten aber erneut ihren Rückhalt zu.
Mit einer Schweigeminute nach Sirenengeheul wurde zu Beginn der Gedenkzeremonie am Sonntag der Toten der Kriege gedacht. Präsident Herzog trug einen eingerissenen Hemdkragen – zerrissene Kleidung ist ein jüdisches Symbol der Trauer. Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi sagte in seiner Rede, als Kommandeur der Armee in Kriegszeiten trage er die Verantwortung «für das Versagen, unsere Zivilisten am 7. Oktober zu verteidigen. Ich trage das Gewicht jeden Tag auf meinen Schultern und in meinem Herzen.» An die Adresse der Familienangehörigen gerichtet sagte er: «Ich bin der Kommandeur, der Ihre Söhne und Töchter in den Kampf geschickt hat, aus dem sie nicht zurückgekehrt sind, und auf die Posten, auf denen sie als Geiseln genommen wurden.»
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer islamistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübten. Sie töteten 1200 Menschen, nahmen 250 weitere als Geiseln und verschleppten sie in den Gazastreifen. Im folgenden Kriegs wurden nach palästinensischen Angaben rund 35 000 Menschen getötet, wobei die unabhängig kaum zu verifizierende Zahl nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheidet.
Israelisch-palästinensischer Appell für Versöhnung
Angehörige der Geiseln versammelten sich am Sonntagabend vor dem Hauptquartier der Armee in Tel Aviv. Viele von ihnen trugen brennende Kerzen, andere hielten Schilder mit der Aufschrift «Wir wollen keine weiteren Gräber».
Die Vereinigung der trauernden israelischen und palästinensischen Familien organisierte am Gedenktag eine eigene Veranstaltung, die die Hoffnung auf Frieden und Versöhnung in den Mittelpunkt stellte. «Wir müssen die Wirklichkeit ändern, um eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu schaffen», sagte eine Palästinenserin, die im Gaza-Krieg ihren Bruder verloren hat.
«Wie viele Generationen voll Trauer braucht es noch, bis wir frei davon sind», sagte der Sohn der am 7. Oktober getöteten bekannten Friedensaktivistin Vivian Silver. «Wir alle müssen erkennen, dass die Besatzung, der 7. Oktober, der Krieg in Gaza, jüdischer und arabischer Terrorismus, jegliche politische Gewalt nicht unser Schicksal sind.»
Militäraktionen im Gazastreifen gehen weiter
Der Krieg geht indes weiter. Das israelische Militär gab am Sonntag die Tötung eines führenden Mitglieds der Hamas bei einem Luftangriff im Gazastreifen am Freitag bekannt. Der Mann habe zu einer Kampftruppe der Islamisten gehört und sei einer der Kämpfer gewesen, die für die Bewachung der entführten israelischen Soldatin Noa Marciano zuständig gewesen sei. Marciano war nach dem Terrorangriff am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt und dort später ermordet worden.
Am Sonntag gab es Militäraktionen in verschiedenen Regionen des Gazastreifens. So hätten israelische Soldaten einen erneuten Einsatz in dem Flüchtlingsviertel Dschabalia im Norden des Küstengebiets begonnen, teilte das Militär mit. Auch der militärische Arm der Hamas berichtete von schweren Zusammenstössen seiner Kämpfer mit israelischen Truppen in Dschabalia.
Die israelische Armee setzt ausserdem ihre nach eigenen Angaben «präzisen» Vorstösse in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens sowie im Viertel Al-Saitun im Norden des Küstenstreifens fort. Palästinensische Medien berichteten in der Nacht zu Montag über israelische Luft- und Artillerieangriffe im Osten Rafahs.
Biden-Berater: Lassen Israel nicht im Stich
Die US-Regierung will nach der Veröffentlichung eines Berichts zu möglichen Völkerrechtsverstössen Israels weitere Untersuchungen anstellen. Es gebe «eine Reihe von Vorfällen, die wir weiterhin untersuchen, um die bestmögliche Einschätzung zu bekommen», sagte Aussenminister Antony Blinken am Sonntag im US-Fernsehen. Mit Blick auf den Einsatz amerikanischer Waffen im Gaza-Krieg sei man besorgt über Vorfälle, bei denen «angesichts der Gesamtheit des Schadens, der Kindern, Frauen und Männern zugefügt wurde», die Einschätzung gerechtfertigt sei, dass Israel in bestimmten Fällen in einer Weise gehandelt habe, die nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sei. Allerdings sei das militärische Umfeld «komplex», weswegen man keine abschliessende Bewertung vornehmen könne.
Trotz aller Bedenken versicherte die US-Regierung, man werde weiter hinter dem Verbündeten Israel stehen. Präsident Joe Biden wolle zwar nicht, dass US-Waffen bei einer grösseren Invasion in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens zum Einsatz kommen, sagte Biden Sicherheitsberater Jake Sullivan in einem Sonntag ausgestrahlten Interview des US-Senders ABC News. Das bedeute aber nicht, «dass er Israel im Stich lässt oder es von den Waffen abschneidet».
Blinken hielt Israels Verteidigungsminister Joav Galant in einem Telefonat dazu an, den Schutz von Zivilisten und Hilfskräften in Gaza zu gewährleisten, wie das US-Aussenministerium nach einem Gespräch der Ressortchefs mitteilte. Humanitäre Hilfe müsse ungehindert ins Kriegsgebiet gelangen und dort verteilt werden können – auch während Israel die Hamas bekämpfe. (awp/mc/ps)