Israel weist Völkermord-Vorwurf zurück – Die Nacht im Überblick
Tel Aviv / Gaza / Den Haag – Israel hat die Anklage wegen Völkermords im Gazastreifen kurz vor Beginn eines brisanten Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof zurückgewiesen. «Israel kämpft gegen Hamas-Terroristen, nicht die palästinensische Bevölkerung, und wir tun dies in voller Übereinstimmung mit dem internationalen Recht», sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am am Vorabend des Verfahrensauftakts in Den Haag. Die Richter müssen zunächst über einen Eilantrag Südafrikas befinden, in dem die sofortige Einstellung des israelischen Militäreinsatzes gefordert wird. Das am Donnerstag mit einer Anhörung Südafrikas beginnende Verfahren könnte Auswirkungen auf den weiteren Kriegsverlauf haben.
UN-Sicherheitsrat fordert Ende der Huthi-Angriffe auf Schiffe
Der UN-Sicherheitsrat hat derweil per Resolution ein Ende der Angriffe der vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen auf Handelsschiffe im Roten Meer gefordert. Das am Mittwoch in New York verabschiedete Papier verurteilt die Angriffe und fordert ihre «sofortige Einstellung». Seit Ausbruch des Gaza-Krieges greifen die Huthis immer wieder Schiffe mit angeblich israelischer Verbindung an. Auch feuern die jemenitischen Rebellen immer wieder Raketen direkt auf Israel ab. Resolutionen des Sicherheitsrats sind völkerrechtlich bindend und können so eine internationale Wirkmacht entfalten.
Bericht über angebliche Verhandlungen zur Geisel-Freilassung
Unterdessen soll Katar unbestätigten Medienberichten zufolge einen neuen Vorschlag für eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln vorgelegt haben. Demnach sollten alle Geiseln im Gegenzug für einen vollständigen Abzug der israelischen Armee freigelassen werden. Die Führung der Hamas solle ins Exil gehen. Während Israels Kriegskabinett am Mittwochabend zu einer Beratung über die Bemühungen zur Freilassung weiterer Geiseln zusammenkam, bezeichnete die islamistische Hamas Berichte über entsprechende Verhandlungen als «zionistischen Schwindel», wie die Nachrichtenseite Ynet meldete.
Israel hatte bisher einen Rückzug der Armee vor einer Zerstörung der Hamas und Freilassung der 136 verbliebenen Geiseln abgelehnt. Auch die Hamas-Führung ist nicht bereit, den Gazastreifen zu verlassen und die Kontrolle des Küstengebiets aufzugeben. Deshalb gelten die Chancen auf eine Einigung zwischen Israel und der Hamas als gering.
Südafrika: Israel will Palästinenser vernichten
Südafrika will mit seiner Ende 2023 eingereichten Klage vor dem höchsten UN-Gericht nachweisen, dass Israel die Absicht hat, die Palästinenser zu vernichten und damit gegen die UN-Völkermordkonvention verstösst. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind infolge der israelischen Militäreinsätze seit Kriegsbeginn schon 23 357 Menschen getötet worden. Die Angaben lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.
Israel dagegen bekräftigt sein Recht auf Selbstverteidigung nach den blutigen Angriffen der Hamas und anderer Extremisten am 7. Oktober 2023. Dabei waren rund 1200 Menschen getötet und etwa 250 aus Israel entführt worden, von denen bislang etwa die Hälfte freigelassen wurde. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock hatte am Mittwoch bei einem Besuch im Libanon gesagt, sie sehe in Israels militärischem Vorgehen in Gaza keine Absicht zum Völkermord. Brasilien und Kolumbien äusserten dagegen ihre Unterstützung für Südafrikas Klage.
Eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs über den Eilantrag Südafrikas zur sofortigen Einstellung des israelischen Militäreinsatzes wird im Verlaufe der nächsten Wochen erwartet. Das Hauptverfahren zum Völkermord-Vorwurf kann sich über Jahre hinziehen.
Israelischer Minister: Geiselfreilassung wichtigste Angelegenheit
Der israelische Minister im Kriegskabinett, Benny Gantz, sagte am Mittwoch: «Die dringendste Angelegenheit ist die Rückführung der Geiseln, sie ist wichtiger als alle Elemente des Kampfes.» Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte derweil am Abend, Truppen hätten in Chan Junis im südlichen Gaza einen Tunnel gefunden, in dem zuvor Geiseln von der Hamas festgehalten worden seien. Die Geiseln hätten sich dort «unter sehr schwierigen Umständen» unter der Erde aufgehalten. Hagari nannte keine weiteren Einzelheiten.
Israelischer General: Werden die Hamas im Untergrund besiegen
Unterhalb des Gazastreifens erstreckt sich über viele Kilometer ein ganzes Netzwerk aus Tunneln. Um Israels Bomben widerstehen zu können, reichen manche Dutzende Meter tief. Die Terroristen nutzen die Tunnel zugleich, um aus dem Nichts aufzutauchen und hinterrücks anzugreifen.
Brigadegeneral Dan Goldfus sagte nach Angaben der «Times of Israel» am Mittwoch, die Armee habe ihre Strategie inzwischen angepasst. Während man anfangs nur die Eingänge zu den Tunneln aufgespürt und zerstört habe, schicke man jetzt Soldaten hinein. Der Kern der Hamas befinde sich im Untergrund. «Dort werden wir sie besiegen», sagte er.
Humanitäre Lage bleibt katastrophal
Die humanitäre Lage für die zivile Bevölkerung des Gazastreifens ist weiter katastrophal. Nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmonds vom Mittwoch wurden vier Sanitäter in einem Rettungswagen bei einem israelischen Angriff getötet. Sie seien getroffen worden, während sie in Dair al-Balah im Zentrum Gazas Verletzte transportierten. Israels Armee wollte den Bericht prüfen. Israel wirft der Hamas immer wieder vor, Kliniken und Krankenwagen für Terrorzwecke zu missbrauchen. Die Hamas weist dies zurück.
Bericht: Hisbollah schiesst mit Panzerabwehrraketen auf Israels Häuser
Seit Beginn des Gaza-Kriegs kommt es auch an Israels Nordgrenze zum Libanon fast täglich zu gewaltsamen Konfrontationen zwischen der Armee und der Hisbollah. Die mit der Hamas verbündete und ebenfalls vom Iran unterstützte Schiiten-Miliz feuert immer wieder auf Israel. Sie setzt dabei nach einem Bericht der israelischen Zeitung «Haaretz» auch ungewöhnlich viele Panzerabwehrraketen gegen Wohnhäuser ein. Mit den Präzisionswaffen könne sie den Druck aufrechterhalten, ohne jedoch den ganz grossen Krieg mit Israel zu riskieren, hiess es. Die israelische Armee wollte den Bericht auf Anfrage nicht kommentieren.
Was am Donnerstag wichtig wird
In Den Haag beginnt vor dem Internationalen Gerichtshof das Verfahren zu Südafrikas Genozid-Anklage gegen Israel. Zunächst wird Südafrika angehört, am Freitag dann Israel. Derweil führt Vizekanzler Robert Habeck politische Gespräche in Israel. In Tel Aviv und Jerusalem will der Grünen-Politiker den israelischen Wirtschaftsminister Nir Barkat, Energieminister Eli Cohen und Aussenminister Israel Katz treffen. Zudem ist ein Treffen mit der israelischen Zivilgesellschaft geplant. (awp/mc/ps)