Israel: Budgetstreit führt wieder zu Neuwahlen
Jerusalem – Schon zum vierten Mal binnen zwei Jahren müssen die Israelis ein neues Parlament wählen. Die Knesset in Jerusalem löste sich am Dienstag um Mitternacht (Ortszeit) automatisch auf. Zuvor war die Frist für eine Einigung auf den Haushalt für das Jahr 2020 abgelaufen. Der Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Benny Gantz war es nicht gelungen, im Etatstreit eine Einigung zu finden. Ein letzter Vorstoss zu einem Kompromiss scheiterte in der Nacht zum Dienstag im Parlament. Mit der Neuwahl wird am 23. März gerechnet.
Noch vor der Auflösung der Knesset begannen am Dienstag Beratungen darüber, wie eine Neuwahl während der Corona-Krise sicher abgehalten werden kann. Es ging etwa um die Frage, wie Corona-Kranke ihre Stimmen abgeben können.
In der grossen Koalition zwischen Netanjahus rechtskonservativer Likud-Partei und dem Mitte-Bündnis Blau-Weiss von Gantz hat es von Anbeginn an stark gehakt, zuletzt verschärften sich die Spannungen.
Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass die Regierung einen Etat für 2020 und 2021 verabschiedet. Netanjahu hatte diese Zusage aber zurückgezogen und wollte nur einen Haushalt für 2020. Der Regierungschef selbst nannte die aussergewöhnlichen Umstände der Corona-Krise als Grund. Kritiker gehen jedoch davon aus, dass er damit unter anderem verhindern wollte, dass Gantz im Herbst 2021 vereinbarungsgemäss das Amt des Regierungschefs von ihm übernimmt.
Um eine schwere Wirtschaftskrise zu verhindern, billigte die Regierung am Dienstag noch einen Finanzplan als Alternative zu einem regulären Budget.
Korruptionsprozess gegen Netanjahu
Gegen Netanjahu läuft ein Korruptionsprozess. Gantz hat dem 71-Jährigen vorgeworfen, er wolle alles unternehmen, um einer Verurteilung zu entgehen. Kritiker sehen den am längsten amtierenden Ministerpräsidenten Israels als Gefahr für die Demokratie in dem Land. Sie werfen ihm vor, das Justizsystem aus persönlichem Kalkül mit ständigen Angriffen systematisch zu schwächen.
Likud laut Umfragen wieder stärkste Partei
Bei einer Neuwahl ist mit einer deutlich veränderten Parteienkonstellation zu rechnen. Das Bündnis um Gantz, das bereits mit seinem Eintritt in die Koalition mit Netanjahu teilweise zerbrochen war, ist inzwischen weitgehend zerbröselt. Bei einer Neuwahl muss Blau-Weiss sogar bangen, ob es die 3,25-Prozenthürde schafft. Gantz› früherer Weggefährte, Oppositionsführer Jair Lapid von der Zukunftspartei, ist dagegen stärker geworden.
Netanjahus Likud wird nach Umfragen bei der Neuwahl wieder stärkste Partei. Der 71-Jährige kann im Wahlkampf auf aussenpolitische Erfolge wie die Annäherungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, dem Sudan und Marokko pochen. Seine Corona-Politik wurde häufig als sprunghaft kritisiert, er selbst stellt sie jedoch als grossartige Erfolgsgeschichte dar.
Trotz seines einmaligen politischen Talents muss Netanjahu bei der Regierungsbildung erneut mit Schwierigkeiten rechnen. Zwar ist das rechte Lager nach Umfragen stark wie nie. Es ist jedoch zersplittert zwischen verschiedenen Parteien, deren Vorsitzende alle als bittere Rivalen Netanjahus gelten, die selbst Regierungschef werden wollen.
Netanjahus stärkster Herausforderer ist nun sein früherer Widersacher im Likud, Gideon Saar, der an der Spitze der neuen Partei Tikva Chadascha (Neue Hoffnung) antritt. Er hat ein Bündnis mit Netanjahu ausgeschlossen./le/DP/zb