Pattsituation nach den Wahlen in Italien
Pier Luigi Bersani, Chef des Partito Democratico (PD).
Rom – Italien droht nach der Schicksalswahl eine wochenlange Hängepartie bei der Regierungsbildung mit unabsehbaren Folgen für den Euro. Da keines der politischen Lager in beiden Parlamentskammern eine ausreichende Mehrheit hat und sich mehrere Bündnisse blockieren, wächst in ganz Europa die Sorge vor einer Unregierbarkeit des Krisenlandes. Neuwahlen wären ein Ausweg. Rom blickt nun auf Staatspräsident Giorgio Napolitano, der die nächsten Schritte einleiten muss. An den Finanzmärkten folgte die Reaktion prompt. Die Renditen auf italienische Staatsanleihen zogen an, der Euro fiel auf den tiefsten Stand seit Anfang Januar und an den Aktienmärkten gaben die Kurse deutlich nach.
Im Abgeordnetenhaus und im umkämpften Senat rettete das Mitte-Links-Lager von Pier Luigi Bersani nach den Ergebnissen vom Dienstag zwar einen knappen Vorsprung vor dem konservativen Bündnis von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi ins Ziel. Doch im Senat können Berlusconi und die überraschend starke Anti-Establishment-Bewegung des Komikers Beppe Grillo Gesetzespläne anderer Lager abblocken. Auch eine Koalition Bersanis mit dem bisherigen Regierungschef Mario Monti, der Reformen auf den Weg gebracht hatte, reicht für eine Mehrheit und zum Regieren nicht aus.
Berlusconi schliesst Zusammengehen mit der Linken nicht aus
Berlusconi sagte am Morgen in einem TV-Interview, er halte Neuwahlen in dieser Situation nicht für sinnvoll. «Jetzt denken alle darüber nach, was man tun kann», sagte er zu dem Patt im Senat. Das werde einige Zeit brauchen. Er schloss eine Vereinbarung mit der Linken nicht ausdrücklich aus, allerdings ein Zusammengehen mit Monti. Spekuliert wurde über die Möglichkeit einer breiten Übergangsregierung, die einige Reformaufträge erhält, bevor dann neu gewählt wird.
Wenig Stimmen für Monti – spektakulärer Erfolg für Grillo
Die Wahl zum Abgeordnetenhaus gewann Bersanis Mitte-Links-Bündnis mit 29,54 Prozent der Stimmen, wie das Innenministerium in Rom nach Auszählung aller Stimmen am Morgen mitteilte. Damit liegt er denkbar knapp mit nur 124.000 Stimmen vor Berlusconis Bündnis, das 29,18 Prozent erhielt. Bersani bekommt als stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus einen Bonus für eine stabile Mehrheit von 340 der insgesamt 630 Sitze. Berlusconis Lager stellt 124 Abgeordnete. Die populistische Grillo-Bewegung «Fünf Sterne» entsendet nach einem spektakulären Mobilisierungserfolg von 25,6 Prozent 108 Parlamentarier in diese Kammer. Montis Bündnis der Mitte erreichte lediglich gut 10 Prozent und verfügt über 45 Mandate.
Im Senat, der nach regionalen Gesichtspunkten gewählt wird, erreichte Bersanis Bündnis laut Innenministerium zwar landesweit die meisten Stimmen, aber nicht die Mehrheit der Sitze. Es kam auf 31,63 Prozent und 113 Sitze, während Berlusconis Mitte-Rechts-Lager 30,72 Prozent und 116 Sitze erzielte. Aufsteiger Grillo erreichte 23,79 Prozent und 54 Sitze, abgeschlagen ist auch hier Monti, dessen Bündnis 9,13 Prozent und 18 Sitze bekam. Im Senat sind für eine Mehrheit 158 der 315 Sitze nötig.
Monti dennoch «sehr zufrieden»
Trotz des relativ schwachen Abschneidens sagte Monti: «Einige sind vielleicht von einem etwas besseren Ergebnis ausgegangen, aber ich bin sehr zufrieden.» Sein Bündnis der Mitte sei erst vor 50 Tagen und ohne unrealistische Versprechen gegründet worden. Die drittgrösste Volkswirtschaft in der Euro-Zone ist hoch verschuldet und steckt einer tiefen Rezession – benötigt also sehr schnell eine stabile Regierung, die wegen nötiger Reformen auch länger amtieren sollte. Die nun drohende politische Blockade hat die Aktienkurse weltweit in den Keller geschickt.
Monti beruft Krisensitzung ein
Die Börsen gaben weltweit nach. Besonders hart traf es am Dienstag den Mailänder Leitindex FTSE MIB mit einem Minus von zeitweise mehr als vier Prozent, der EuroStoxx 50 musste ebenfalls deutlich Federn lassen. Auch an den Devisen- und Anleihemärkten sorgte das Ergebnis des Urnengangs für schlechte Stimmung. Der Euro geriet weiter unter Druck. Die Risikoaufschläge für Anleihen südeuropäischer Krisenstaaten schossen in die Höhe. Vor diesem Hintergrund rief der noch amtierende Regierungschef Monti seinen Finanzminister Vittorio Grilli und den Notenbankchef Ignazio Visco zu einer Krisensitzung zu sich.
Angst vor Rückkehr der Eurokrise
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, warnte im Deutschlandfunk vor einer langsamen Rückkehr der Eurokrise. Auch das Euro-Krisenland Spanien zeigte sich besorgt. «Was in Italien geschehen ist, dürfte für niemanden positive Konsequenzen haben, weder für Italien selbst noch für das übrige Europa», sagte der spanische Aussenminister José Manuel García-Margallo in Madrid.
Gut 75 Prozent der wahlberechtigten Italiener gaben bei der Wahl am Sonntag und Montag laut Innenministerium ihre Stimme ab. 2008 waren es rund 81 Prozent. Nach dem Rücktritt des parteilosen Regierungschefs Monti hatte Staatschef Napolitano im Dezember das italienische Parlament aufgelöst. Die Parlamentswahlen wurden daraufhin leicht vorgezogen. (awp/mc/upd/ps)