Rom – Italien ist bereit für die Wahl eines neuen Parlaments. Bevor mehr als 51,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger an diesem Sonntag zur Stimmabgabe aufgerufen sind, wurde am Samstag in dem Mittelmeerland der Wahlkampf wie üblich und zum Teil vom Gesetz gefordert ausgesetzt. Daran hielten sich aber nicht alle Parteien.
Ausserdem sorgten die Aussagen von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi, dem eine Verharmlosung von Russlands Präsident Wladimir Putin vorgeworfen wird, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter für Aufsehen. Die deutsche Politikerin war am Donnerstag von einer Studentin gefragt worden, ob sie Sorgen habe vor einem Wahlsieg der Rechten und ehemaligen Putin-Freunde in Italien. Sie antwortete, sollten EU-Richtlinien verletzt werden, habe Brüssel «Werkzeuge».
Empörte Rechtsaussen
Das empörte vor allem die Politiker der in Umfragen klar führenden Rechtsallianz, die beste Chancen auf die absolute Mehrheit der Parlamentssitze hat. Matteo Salvini, dessen Partei Lega ein kleiner Partner der Koalition ist, brachte einen Rücktritt von der Leyens ins Spiel. «War das Drohung, Erpressung, institutionelles Mobbing? Die Präsidentin muss sich entweder entschuldigen oder zurücktreten», sagte er der Zeitung «Corriere della Sera».
Der frühere Innenminister hatte noch am Freitagabend vor der Vertretung der EU-Kommission in Rom an einer spontanen Protestkundgebung teilgenommen. Dabei hielten Unterstützer Schilder mit Schriftzügen wie «Schande» und «Ursula out» in den Händen.
Giorgia Meloni, die als Parteichefin der rechtsnationalen Fratelli d’Italia die grösste Einzelpartei des Rechtsblocks anführt und somit gute Chancen auf das Amt der künftigen Ministerpräsidentin hat, sagte in Richtung von der Leyen: «Ich rate zu Umsicht, wenn man an die Glaubwürdigkeit der Kommissare und der Kommission glaubt.» Ein Kommissionssprecher hatte am Freitag gesagt, dass «absolut klar» sei, dass von der Leyen nicht in Italiens Wahlkampf eingegriffen habe.
Berlusconi: «Aus dem Zusammenhang gerissen»
Als dritte wichtige Partei ist die Forza Italia von Berlusconi in dem Bündnis. Mit der Behauptung in einem TV-Interview, Putin sei zum Angriff auf die Ukraine gedrängt worden und habe in Kiew «anständige Leute» an die Regierung bringen wollen, sorgte der Parteigründer für einen Eklat. Später sagte er, dies sei aus dem Zusammenhang gerissen.
Der Sprecher des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Serhij Nikiforow, erinnerte im Gespräch mit der Zeitung «La Repubblica» an die vielen Verbrechen Putins in der Ukraine und in Syrien sowie dessen Drohung, Atomwaffen einzusetzen. «Der italienische Ex-Premier vertraut auf ihn und nennt ihn als Beispiel dafür, wer anständig ist und wer nicht?», fragte Nikiforow. «Es ist wichtig, dass die Bürger Kandidaten wählen, die die richtigen moralischen Prinzipien haben.»
Die rechten und linken sowie Zentrums-Parteien hatten sich in diesem kurzen Sommerwahlkampf – erstmals in der Geschichte der Republik findet eine Wahl im Herbst statt – hart attackiert. Laut Gesetz sind am Samstag vor dem Urnengang Wahlkundgebungen und -äusserungen verboten. Allerdings bezieht sich das Gesetz von 1956 nur auf Radio-, Fernseh- oder Zeitungsanzeigen. Im Internet und in den sozialen Medien sind Beiträge also erlaubt. Viele Parteien verzichten dennoch darauf – anders als die Lega, die auch am Samstag mit etlichen Twitter-Einträgen nochmal harte Angriffe gegen ihre Gegner fuhr. (awp/mc/pg)