Rom – Nach der Parlamentswahl und dem historischen Rechtsruck hat in Italien das Postengeschachere für eine künftige Regierung unter Giorgia Meloni begonnen. Prominente Politiker wie der einstige Innenminister Matteo Salvini könnten dabei leer ausgehen, berichteten italienische Medien am Dienstag übereinstimmend. Angesichts der negativen Resonanz auf den Wahlerfolg Melonis und deren rechtsradikaler Fratelli d’Italia bemühen sich einige, das Ausland und die EU-Partner zu beruhigen. Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, holte sich deshalb schon einen Rüffel ab, Silvio Berlusconi beschwört das internationale Verhältnis. Aber wo ist eigentlich Giorgia Meloni?
Nachdem die Parteichefin der «Brüder Italiens» am Montagmorgen kurz vor 3.00 Uhr nur für einen knappen Kommentar vor die Kameras und Mikrofone der Weltpresse getreten war, tauchte sie komplett ab. Paparazzi erwischten Meloni, als sie ihre Tochter Ginevra zur Schule fuhr. Am Steuer war sie hinter einer grossen Sonnenbrille und im Kapuzenpulli kaum zu erkennen. Dazu postete ihr Fitnesscoach noch ein Selfie der beiden beim Sport. Eine geplante Pressekonferenz am Montag sagte Meloni aber ab. Auch am Dienstag war nichts Öffentliches geplant, wie einer ihrer Sprecher auf Anfrage mitteilte.
Nach einer schlaflosen Nacht von Sonntag auf Montag habe die 45 Jahre alte Römerin bereits mit den Planungen für die Regierung begonnen, berichteten Medien unter Verweis auf Parteikreise. Dabei gehe es um Schlüsselposten im künftigen Kabinett. In der Frage kündigt sich schon ein Konflikt im ultrarechten Regierungsbündnis an.
Meloni will keinen Innenminister Salvini
Für Salvini als einen der prominentesten Verbündeten Melonis deutet sich dabei nach dem Wahlabend – seine rechtspopulistische Lega stürzte auf nur noch gut acht Prozent ab – die zweite Klatsche an. Meloni sei strikt dagegen, dass Salvini seinen früheren Posten als Innenminister wiederbekomme, berichteten die Tageszeitungen «La Repubblica» und «Corriere della Sera» am Dienstag übereinstimmend.
Das Ressort komme für Salvini deshalb nicht in Frage, weil ihm just wegen eines Vorfalls aus seiner Zeit im Innenministerium gerade der Prozess gemacht wird. Er muss sich in der Causa um das Seenotrettungsschiff «Open Arms» wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauchs in Palermo vor Gericht verantworten. Staatspräsident Sergio Mattarella könnte Einwände gegen das Comeback haben, hiess es.
Die zivilen Seenotretter bekamen im August 2019 keinen Hafen zum Anlegen zugewiesen und waren mit bis zu 150 Menschen an Bord vor der Insel Lampedusa blockiert. Aus Salvinis Sicht war Italien nicht zuständig – er verteidigt seine damalige Blockade noch heute.
Statt Salvini sind nun dessen früherer Bürochef Matteo Piantedosi oder der frühere Präfekt von Rom, Giuseppe Pecoraro, im Gespräch. Womöglich kommt anstelle Salvinis einer seiner Vertrauten ins Amt.
Auch Berlusconi geht wohl leer aus
Auch die Hoffnungen des umstrittenen Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi dürften sich nicht erfüllen. Vor der Wahl hatte es Gerüchte gegeben, dass er mit dem Job als Senatspräsident liebäugele. Das Amt ist formal das zweithöchste in der Republik nach dem des Staatspräsidenten. Weil dieses aber komplex und auch körperlich anstrengend ist, komme er laut «Repubblica» nicht infrage. Berlusconi wird am Donnerstag 86 Jahre alt – und auch gegen den Medienunternehmer läuft derzeit noch ein Strafprozess.
Statt des Gründers der konservativen Forza Italia könnte dessen Vertrauter Antonio Tajani ein wichtiges Amt bekommen, etwa das des Aussenministers. Dem langjährigen Europaabgeordneten, Ex-EU-Kommissar und früheren Präsidenten des Europaparlaments wird zugetraut, internationale Partner zu besänftigen. Berlusconi versprach in einer Videobotschaft, «das internationale Profil, das proeuropäische Profil und das transatlantische Profil der nächsten Regierung zu garantieren». «Ein gutes Verhältnis mit unseren historischen Verbündeten in den Vereinigten Staaten und den wichtigsten Ländern der Europäischen Union ist unerlässlich für die Zukunft Italiens.»
Aber wie viel Einfluss wird die Forza Italia mit ihren rund acht Prozent als proeuropäische Kraft haben – angesichts des Übergewichts der Fratelli und als zweiter Juniorpartner neben der EU-kritischen Lega?
Über Berlusconi wird auch in Deutschland diskutiert. Der CSU-Parteivize Weber hatte als Chef der EVP, zu der auch Forza Italia gehört, Berlusconi im Wahlkampf unterstützt. CSU-Chef Markus Söder wirft Weber vor, sich den falschen Partner ausgesucht zu haben – nämlich einen, der ein potenziell antieuropäisches Bündnis in Rom erst möglich gemacht habe. «Es ist nicht Aufgabe der EVP und bürgerlicher Parteien, rechtsnationale und rechtsradikale Regierungen zu ermöglichen, das ist nicht unser Auftrag», sagte Söder am Montag.
Weber: «Italien an Bord halten»
Weber erwiderte in den ARD-«Tagesthemen», er wolle, «dass wir Italien an Bord halten und deswegen meine Unterstützung für Forza Italia». Die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt kritisierte Weber und nannte die Forza Italia «Steigbügelhalter der Rechtsextremen».
Das von den Fratelli angeführte Rechtsbündnis wird eine komfortable Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments haben. Zusammen kommen die Parteien im Senat auf 112 der 200 Sitze, in der Abgeordnetenkammer auf 235 der 400. Mitte-Links kommt auf 39 Senatoren und 80 Abgeordnete, die Fünf Sterne auf 28 Senatoren und 51 Abgeordnete.
Bis offiziell über die künftige Regierung verhandelt wird, wird es noch Wochen dauern. Am 13. Oktober kommen die neugewählten Kammern zu den konstituierenden Sitzungen zusammen. Erst danach wird Staatspräsident Sergio Mattarella offiziell jemanden mit der Regierungsbildung beauftragen. Die neue Exekutive könnte dann in der zweiten Oktoberhälfte feststehen. Angesichts der aktuellen Lage mit den dramatisch gestiegenen Energiepreisen, der hohen Verschuldung und der drohenden Rezession drängt die Zeit. (awp/mc/ps)