IWF-Direktorin Christine Lagarde. (Foto: IWF / Flickr)
Washington – Die Eurozone muss sich nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) längerfristig auf ein schwaches Wirtschaftswachstum einstellen. Zwar habe sich die Konjunktur in der Region zuletzt erholt, aber für die Zukunft gebe es derzeit kaum Aussichten auf eine weitere Verbesserung, heisst es in der aktuellen IWF-Prognose für die Weltwirtschaft, die am Dienstag in Washington veröffentlicht wurde.
Für die Schweiz hat der IWF die Prognose für dieses Jahr wegen der Frankenstärke bereits im Ende März publizierten Länderexamen halbiert. 2015 ist demnach noch mit einer Zunahme des Bruttoinlandproduktes (BIP) um 0,8% zu rechnen. Vor der Aufhebung des Euro-Mindestkurses der Schweizerischen Nationalbank (SNB) war der IWF noch von einem Wachstum von 1,6% ausgegangen. Für 2016 publizierte der IWF am Dienstag ein Plus von 1,2%.
Die Schweizer Arbeitslosigkeit werde von 3,2% im letzten Jahr auf 3,4% im laufenden und 3,6% im nächsten Jahr leicht steigen. Demgegenüber dürften die Konsumentenpreise 2015 im Schnitt um 1,2% und im folgenden Jahr um 0,4% sinken.
Weltwirtschaft legt zu
Weltweit rechnet der IWF in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 3,5 und 2016 mit 3,8%. In den beiden Vorjahren lag es bei 3,4%. Besser als zuletzt stünden die grossen Volkswirtschaften da, während die Konjunktur in Entwicklungs- und Schwellenländern etwas nachgelassen habe. Die russische Wirtschaft werde in diesem Jahr um 3,8% schrumpfen und damit deutlich stärker als erwartet. Brasilien rutsche in die Rezession, sagte der IWF voraus.
Prognose für die Eurozone erhöht
Auch für die Eurozone erhöhte der IWF seine BIP-Prognose auf kurze Sicht: Für dieses Jahr erwartet der Währungsfonds ein Wachstum von 1,5%, im kommenden Jahr sollen es 1,6% sein. 2014 hatte die Wirtschaft lediglich um 0,9% zugelegt, im Jahr zuvor war der Währungsraum noch in der Rezession.
Wie andere wichtige Wirtschaftsräume habe die Eurozone überraschend stark von dem niedrigen Ölpreis profitiert, erklärte der IWF. Die Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) hätten ebenfalls einen positiven Effekt. Ein deutlich verteuerter Dollar habe zudem der Exportwirtschaft geholfen. Produkte aus dem Euroraum werden dadurch auf wichtigen Märkten wie den USA billiger.
Auch Krisenstaaten im Aufwind
Selbst Euro-Länder wie Griechenland, Spanien, Frankreich und Italien verzeichnen laut dem IWF 2015 und 2016 ein ansehnliches Plus beim Bruttoinlandprodukt. Nahezu überall in der Eurozone werde die Arbeitslosigkeit sinken.
Die längerfristig dennoch gedämpften Wachstumsaussichten begründete der IWF vor allem mit der zurückliegenden Euroschulden-Krise. Viele Euro-Staaten und Haushalte kämpften weiter mit hohen Schulden. Investoren seien noch immer pessimistisch und trauten sich nicht, ihr Geld einzusetzen. Auch flössen Kredite weiterhin zu langsam, weil die Banken durch Altlasten in den Bilanzen insgesamt nicht stabil genug seien. Hinzu kämen Unsicherheiten durch Krisen wie in Russland, der Ukraine oder der Schuldenstreit mit Griechenland. Der Währungsfonds fordert daher unter anderem mehr öffentliche Investitionen, um die Wachstumschancen in Europa zu vergrössern.
Günstiger Ölpreis wirkt als Schmiermittel für die Weltwirtschaft
Der starke Fall der Ölpreise seit dem Sommer 2014 hat nach Einschätzung des IWF insgesamt einen positiven Effekt für die Weltwirtschaft. Während führende Industriestaaten und einige ölimportierende Schwellenländer spürbar vom günstigen Rohöl profitieren, zeige der Preisverfall aber auch starke Belastungen bei den Ölexporteuren. Zu den Profiteuren zählt der IWF die Staaten der Eurozone, die USA oder Japan. Dagegen leiden Ölexporteure wie beispielsweise Russland stark unter der Talfahrt der Ölpreise.
Auch wenn der IWF die Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft im laufenden Jahr unverändert bei 3,5 Prozent beliess, sehen die Experten wegen der Ölpreise die Möglichkeit einer besseren konjunkturelle Entwicklung. Nach einem Berechnungsmodell des IWF, wonach die Weltmarktpreise für Rohöl vollständig an die privaten Verbraucher weitergegeben werden, wäre im kommenden Jahr ein Anstieg des weltweiten Wachstums um einen weiteren Prozentpunkt möglich. Selbst wenn die günstigen Ölpreise auf dem Weltmarkt nur teilweise an die Verbraucher weitergereicht werden, gehen die IWF-Experten für das kommende Jahr immerhin noch von einem Wachstumsschub von etwa einem halben Prozent aus. (awp/mc/pg)