EU-Staaten einigen sich auf flexiblen Brexit-Aufschub bis Ende Januar
Brüssel – Die EU-Staaten haben sich auf einen flexiblen Brexit-Aufschub bis Ende Januar 2020 geeinigt. Sollte die Ratifizierung des Austrittsabkommens vorher gelingen, ist der britische EU-Austritt auch vor Fristende möglich. Stichtag wäre dann jeweils der erste Tag des folgenden Monats.
Die Entscheidung fiel am Montag beim Treffen der EU-Botschafter in Brüssel. Sie soll noch in einem schriftlichen Verfahren formalisiert werden, wie EU-Ratschef Donald Tusk im Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte. EU-Chefunterhändler Michel Barnier sprach von einem «sehr kurzen, effektiven und konstruktiven Treffen».
Johnson will über Neuwahlen abstimmen lassen
Premierminister Boris Johnson wollte Grossbritannien ursprünglich am 31. Oktober aus der EU führen – «komme, was wolle». Inzwischen musste er allerdings mehrere Niederlagen im britischen Parlament hinnehmen. Dort verfügt er über keine Mehrheit mehr. Er strebt daher eine Neuwahl am 12. Dezember an, über die die Abgeordneten noch am späten Montagnachmittag abstimmen sollten. Auch hier gelten seine Erfolgsaussichten allerdings als äusserst gering.
Johnson braucht für eine Neuwahl eine Zweidrittelmehrheit. Die grösste Oppositionspartei Labour sperrt sich aber bislang. Deren Chef Jeremy Corbyn hatte deutlich gemacht, seine Partei werde einer Neuwahl nicht im Wege stehen, sobald ein Brexit ohne Deal vom Tisch sei.
Flextension: 1. Dezember, 1. Januar, 1. Februar … oder?
Mögliche Brexit-Daten wären der flexiblen Verlängerung («Flextension») zufolge der 1. Dezember, der 1. Januar und der 1. Februar. Brüssel schliesst weitere Verhandlungen über das Austrittsabkommen aus. Die EU-Staaten rufen London dazu auf, sich während der Verlängerung in einer «konstruktiven und verantwortungsvollen Weise» zu verhalten.
Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, begrüsste die Entscheidung der EU-Staaten für einen flexiblen Brexit-Aufschub. «Das gibt dem Vereinigten Königreich mehr Zeit, klarzumachen, was es will», schrieb Sassoli am Montag auf Twitter
Grossbritannien muss EU-Kommissar nominieren
Zudem wird festgelegt, dass Grossbritannien für die kommende EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen einen Kommissar nominieren muss. Denkbar wäre, dass der aktuelle britische EU-Kommissar Julian King bis zum Brexit in Brüssel bleibt. Er ist derzeit für die Sicherheit in der Staatengemeinschaft zuständig.
Londons Bürgermeister sieht Gefahr eines No-Deal-Brexit gebannt
Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan bezeichnete die Einigung der EU-Staaten als «gute Nachricht». Die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden «katastrophalen» EU-Austritts ohne Abkommen sei gebannt, twitterte der Labour-Politiker. Ähnlich positiv äusserte sich Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Dänemark habe stets die Position vertreten, dass eine Verlängerung richtig sei. Auch Frankreich, das den Briten zunächst nur eine kurze Verlängerung von etwa zwei bis vier Wochen gewähren wollte, trägt den Kompromiss mit.
Hoffnung, dass es doch vor Jahresende zu einer Neuwahl in Grossbritannien kommen könnte, machten kürzlich die kleineren Oppositionsparteien. Die Liberaldemokraten und die Schottische Nationalpartei SNP boten Johnson an, per Gesetzesänderung die Erfordernis der Zweidrittelmehrheit für einen vorgezogenen Urnengang zu umgehen. Die Regierung reagierte skeptisch, denn der Preis könnten eine Senkung des Wahlalters oder weitergehende Forderungen sein. Junge Briten gelten als überwiegend proeuropäisch. (awp/mc/pg)