Barcelona – Die Rede des katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont zur Unabhängigkeit seiner Region hat für erhebliche Verwirrung gesorgt. Bei der mit Spannung erwarteten Ansprache im Parlament erklärte der Separatistenführer am Dienstag die Unabhängigkeit, setzte sie aber gleich wieder aus. Damit solle Zeit gewonnen werden, um den von der Zentralregierung in Madrid bisher verweigerten Dialog doch noch zu erzwingen. «Das ist ein Witz, wir rätseln alle, was das zu bedeuten hat», sagte Joaguín Luna von der Zeitung «La Vanguardia», einer der angesehensten Zeitungen Spaniens, der Deutschen Presse-Agentur.
«Alles hängt jetzt davon ab, ob die Regierung in Madrid davon ausgeht, dass Puigdemont die Unabhängigkeit erklärt hat oder nicht», fügte Luna hinzu. Sollte die spanische Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy zu diesem Schluss kommen, wurde eine harte Reaktion erwartet. Die Regionalregierung könnte abgesetzt und Katalonien unter direkte Verwaltung Madrids geraten.
Die Zentralregierung bezeichnete die Erklärung Puigdemonts als «inakzeptabel». Dieser habe Katalonien «in die grösstmögliche Ungewissheit gestürzt», sagte Vize-Ministerpräsidentin Soraya Saéz de Santamaría in Madrid. Der konservative Regierungschef Mariano Rajoy habe für Mittwochvormittag eine Kabinettssitzung einberufen, um «über die nächsten Schritte zu beraten».
Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet
Puigdemont unterzeichnete nach seiner Rede zusammen mit Regierungsmitgliedern und den separatistischen Abgeordneten im Regionalparlament ein Dokument zur Unabhängigkeit. Aber auch dessen Bedeutung war nebulös. Nach Angaben des spanischen Fernsehens 24h enthielt dieses Papier keinen Hinweis auf eine Suspendierung. Da es sich aber nicht um eine Abstimmung handelte, sei es nur ein vorläufiges Papier, eine Art Manifest. Sollten die geforderten Gespräche mit der Zentralregierung nicht zum gewünschten Erfolg führen, werde die Unabhängigkeitserklärung dem Regionalparlament zur förmlichen Abstimmung vorgelegt und erst dann wirksam, interpretierte der Sender die zugänglichen Informationen.
Bei seiner ausgesetzten Unabhängigkeitserklärung berief sich Puigdemont auf das umstrittene Referendum vom 1. Oktober, bei dem rund 90 Prozent für eine Trennung von Spanien gestimmt hatten. «Die Urnen haben ja zur Unabhängigkeit gesagt. Das ist der Weg, den ich beschreiten möchte.» Die Abstimmung hatte gegen den Willen Madrids stattgefunden und war zudem vom Verfassungsgericht untersagt worden. Der katalanische Regierungschef sagte dazu am Dienstagabend: «Es gibt auch Demokratie jenseits der Verfassung.»
Bei den schätzungsweise rund 10 000 Abspaltungsbefürwortern, die sich vor der Rede unweit des Regionalparlaments im Zentrum Barcelonas versammelt hatten, löste die beabsichtigte Unabhängigkeitserklärung zunächst lauten Jubel, die Aussetzung ihrer Ausrufung aber sofort ein Pfeifkonzert aus. Ein Dialog sei wohl unvermeidlich, aber an dessen Ende müsse die Unabhängigkeit stehen, sagten viele Bürger der Deutschen Presse-Agentur. Andere würden sich auch damit zufrieden geben, dass Madrid einer Wiederholung des am 1. Oktober trotz eines Verbots des Verfassungsgerichts abgehaltenen Referendums zustimmt.
Am vergangenen Sonntag vor einer Woche hatten sich bei einem Referendum unter chaotischen Umständen und trotz eines teilweisen harten Polizeieinsatzes 90 Prozent für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Allerdings lag die Beteiligung bei nur 43 Prozent und die meisten Gegner einer Abspaltung blieben der Befragung fern.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel rief angesichts der Spannungen in Spanien zur Besonnenheit auf. «Jede Eskalation muss vermieden werden», sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Mittwoch). Unter Separatisten in Katalonien hofften einige weiter auf eine Vermittlung durch Deutschland.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht keine Vermittlerrolle für Europa im Konflikt zwischen der Zentralregierung in Madrid und Katalonien. Andernfalls würde man Puidgemont und Ministerpräsident Mariano Rajoy als gleichwertig einstufen, sagte Macron. Ebenso dürfe er sich als französischer Präsident nicht in «innerspanische Angelegenheiten» einmischen.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker liess unterdessen Gerüchte über mögliche Gespräche mit Katalonien dementieren. Derartige Meldungen seien «FAKE NEWS», schrieb seine stellvertretende Sprecherin Mina Andreeva bei Twitter. EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte an Katalonien, sich nicht von Spanien loszusagen.
«Wir sind keine Verbrecher»
Bei seiner Rede von dem Parlament kritisierte Puigdemont Madrid mit scharfen Tönen. Die Zentralregierung habe jeden Versuch des Dialogs von Seiten Kataloniens abgelehnt: «Die Antwort war immer eine radikale und absolute Weigerung, kombiniert mit einer Verfolgung der katalanischen Institutionen», sagte der 54-jährige liberale Politiker. An alle Spanier gerichtet fügte er hinzu: «Wir sind keine Verbrecher, keine Verrückten, keine Putschisten.»
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sah nach der Rede Puigdemonts Madrid am Zug. «Ich hoffe, dass die spanische Regierung besonnen reagiert und einen Schritt auf die katalanische Regierung zugeht», sagte Bartsch am Dienstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Er begrüsse, dass Puigdemont nicht weiter Öl ins Feuer gegossen habe. «Den Weg des Dialogs einzuschlagen ist der richtige Weg in der aktuellen Situation.»
Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer warf Puigdemont hingegen Falschspielerei vor. Dieser habe «statt der offenen Konfrontation einen politischen Schwindel gewählt», sagte Bütikofer der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist der Trick eines Hasardeurs, der eigentlich mit seinem Latein am Ende ist.» Die Gefahr einer politischen Explosion sei damit noch nicht gebannt. (awp/mc/ps)