Katalanische Regierung will Abspaltung bis 2017
Kataloniens neuer Regierungschef Carles Puigdemont.
Barcelona – In Spanien stehen die Zeichen auf Sturm. Während eine Regierungsbildung in Madrid auch drei Wochen nach der Parlamentswahl nicht absehbar ist, bekommt es der EU-Mitgliedstaat nun mit einem grossen Problem zu tun: Katalonien will sich raschmöglichst vom Rest des Landes abspalten. Die neue Regionalregierung in Barcelona verfolgt das Ziel, die wirtschaftsstärkste Region Spaniens bis Mitte 2017 in einen unabhängigen Staat zu verwandeln.
«Nächste Station Unabhängigkeit», heisst die Devise, die Oriol Junqueras ausgegeben hat, einer der führenden Politiker im katalanischen Regierungsbündnis Junts pel Sí (Gemeinsam fürs Ja). Dabei hatte in Spanien eigentlich niemand damit gerechnet, dass die Separatistenallianz sich mit der linksradikalen Partei CUP auf eine Regierungsbildung einigen würde. Alles hatte auf Neuwahlen in der Region mit 7,5 Millionen Einwohnern hingedeutet, denn die antikapitalistische CUP weigerte sich, dem bisherigen Regierungschef Artur Mas zu einer neuen Amtszeit zu verhelfen.
Mas-Rücktritt öffnet Weg für Regierungsbildung
Beide Seiten verständigten sich jedoch im letzten Moment überraschend auf ein Regierungsbündnis. Sie traten die Flucht nach vorn an, weil sie bei Neuwahlen deutliche Stimmenverluste zu befürchten gehabt hätten. Die Separatisten liessen Mas fallen, die linksradikale CUP verzichtete auf Oppositionspolitik und verpflichtete sich dazu, dem neuen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont in wichtigen Abstimmungen eine Mehrheit zu sichern.
Rajoy unter Druck – Wird grosse Koalition wieder zum Thema?
Die Wahl des neuen separatistischen Premiers in Katalonien trifft Spanien zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die konservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy ist seit der Parlamentswahl am 20. Dezember 2015 nur noch geschäftsführend im Amt. Wer die neue Regierung in Madrid bilden wird, steht in den Sternen.
Rajoy war davon ausgegangen, dass er sich mit der Suche nach einer Mehrheit Zeit lassen könnte. Aber dieses Kalkül wurde nun von den Katalanen über den Haufen geworfen. Die Konservativen verstärken jetzt den Druck auf die Sozialisten (PSOE) und deren Parteichef Pedro Sánchez, die strikte Ablehnung einer grossen Koalition aufzugeben. Die PSOE ist die einzige Partei, die Rajoy zu einer stabilen Mehrheit und zu einer neuen Amtszeit verhelfen könnte.
Neuer Regierungschef von Mas› Gnaden
Kataloniens neuer Regierungschef Puigdemont tritt noch energischer für eine Abspaltung der Region von Spanien ein als der Vorgänger Mas. Der 53-jährige Sohn eines Bäckers war in Spanien und weiten Teilen Kataloniens bislang weitgehend unbekannt. Der Ex-Journalist stand bei der Katalonien-Wahl am 27. September 2015 nur an dritter Stelle auf der Wahlliste der Separatisten in Gerona. Er wurde von Mas per Fingerzeig zum Nachfolger auserkoren. Die Opposition bezeichnete das Vorgehen als undemokratisch: Puigdemont wurde neuer Regierungschef, obwohl er bei der Regionalwahl nicht als Spitzenkandidat angetreten war.
Seine Regierung will nun den «Fahrplan zur Unabhängigkeit» umsetzen, auf den das Separatistenbündnis Junts pel Sí sich verständigt hatte. Danach sollen zunächst drei Gesetzesvorhaben in Gang gesetzt werden: die Ausarbeitung einer Verfassung für einen unabhängigen Staat Katalonien, der Aufbau einer eigenen Rentenversicherung und die Schaffung einer katalanischen Steuerbehörde. Der Prozess soll bis Mitte 2017 mit einem Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens abgeschlossen werden. Rajoy betonte, «die Spanier können beruhigt sein». Eine Abspaltung der Region werde es nicht geben. (awp/mc/pg)