Kiew erhält Unterstützung für Friedensplan
Davos / Kiew – Die Ukraine freut sich über die zunehmende internationale Unterstützung für ihren Friedensplan und sieht nun einen Friedensgipfel auf höchster Ebene als Endziel. Dennoch zog der Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, am Sonntag klare rote Linien. «Dieser Präsident (Wolodymyr Selenskyj) und seine Mannschaft werden niemals ein Einfrieren des Konflikts akzeptieren», betonte er zum Abschluss einer Konferenz im Schweizer Davos. Dort hatten mehr als 80 Länder und internationale Organisationen über die Vorschläge der Ukraine für einen dauerhaften Frieden beraten.
Im Mittelpunkt der Konferenz in Davos stand erneut die sogenannte Friedensformel der Ukraine. Der Zehn-Punkte-Plan sieht den Abzug aller russischen Truppen, Strafen für russische Kriegsverbrecher, juristische Verantwortung der für den Krieg verantwortlichen Moskauer Politiker und Offiziere, Reparationen und Sicherheitsgarantien vor. Es war das vierte Treffen dieser Art.
«Die Ukraine braucht keinen eingefrorenen Konflikt, die Ukraine braucht einen gerechten Frieden», sagte Jermak. Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis betonte, die Verständigung auf Grundprinzipien für eine Friedenslösung auf so breiter Ebene könne dazu beitragen, Russland eines Tages an den Verhandlungstisch zu bekommen. Doch bis zu einer Friedenslösung sei es noch ein langer Weg. Noch sei keine Seite zu irgendwelchen Zugeständnissen bereit, sagte Cassis. Aktuell seien Friedensverhandlungen mit Russland nicht möglich, machte auch Jermak klar.
Selenskyj zeigte sich in seiner Videoansprache am Sonntagabend erfreut über die grosse Zahl von Teilnehmern an der Konferenz in der Schweiz. Durch ihre Teilnahme bestätigten sie, «dass die auf Regeln basierende Weltordnung wiederhergestellt werden muss – für alle Menschen auf der Erde, ohne Ausnahme».
Die Ukraine verteidigt sich mit westlicher Hilfe seit dem 24. Februar 2022 gegen einen russischen Angriffskrieg.
Gouverneur: Russland wehrt ukrainische Raketen über Kursk ab
Russland wehrte unterdessen in der Nacht zum Montag drei ukrainische Raketen über der russischen Region Kursk nahe der Grenze zur Ukraine ab. Die russische Luftabwehr habe die Raketen abgeschossen, teilte der Gouverneur von Kursk, Roman Starowoit, bei Telegram mit. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig prüfen. Informationen zu Verletzten oder Schäden gab es zunächst nicht. Im Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland kommen immer wieder auch Ziele auf russischem Territorium unter Beschuss.
Russland stellt Bedingungen für Verhandlungen mit der Ukraine
Russland stellte mit Blick auf Davos umgehend eine Reihe von Gegenforderungen für eine eventuelle Teilnahme Moskaus an Ukraine-Verhandlungen. An erster Stelle müsste der Westen seine Waffenlieferungen an Kiew einstellen, sagte Aussenamtssprecherin Maria Sacharowa nach Angaben der Staatsagentur Tass. Zudem müssten antirussische Sanktionen sowie «russophobe Erklärungen» eingestellt werden. «Sollte diese Rhetorik (aus Davos) aber darauf abzielen, Russland in einen psychedelischen Prozess zu ziehen, der die prinzipiellen Ansätze Russlands beeinflussen soll, werden wir uns nicht in diese Falle locken lassen.»
Selenskyj: Haben das Potenzial für den Sieg
Selenskyj äusserte sich in seiner abendlichen Videoansprache einmal mehr zuversichtlich über einen Sieg gegen die Russland. «Die Ukraine hat das Potenzial, diesen schweren Weg des Kriegs zu überwinden», sagte er. «Wir haben das Potenzial, die Welt zu vereinen; wir haben das Potenzial zu gewinnen.» Die Hauptsache sei, an die eigene Stärke zu glauben. «Und an die Ukraine.»
Seine Zuversicht zog Selenskyj aus neuen Abmachungen und Waffenlieferungen seit Jahresbeginn. «Es gibt dringend benötigte Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion von Waffen und Munition, insbesondere das sensible Thema der Drohnen», sagte er. Zudem gebe es «gute Nachrichten» für die Flugabwehr, die Selenskyj jedoch nicht weiter ausführte.
Vorschlag zu landesweiter elektronischer Flugabwehr in der Ukraine
Angesichts immer neuer russischer Angriffe mit Drohnen und Marschflugkörpern gegen Ziele in der Ukraine hat die Luftwaffenführung in Kiew eine flächendeckende elektronische Flugabwehr vorgeschlagen. Demnach könnten die Gemeinden selbst die Mittel für den Kauf elektronischer Geräte aufbringen, mit deren Hilfe die Sensoren der anfliegenden Drohnen gestört werden könnten. «Man kauft zwar keine Waffen – also Schusswaffen, Kanonen oder Flugabwehrsysteme – aber sie (die elektronischen Geräte) helfen, Leben zu retten», sagte Juri Ihnat, Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, am Sonntag im ukrainischen Fernsehen.
«Eine Rakete kann so umgelenkt werden und ihr Ziel nicht erreichen», erklärte Ihnat die Wirkung der elektronischen Störgeräte. Diese könnten inzwischen problemlos privat erworben werden. «Viele zivile Unternehmen sind inzwischen an der Herstellung von elektronischen Systemen zur Kriegsführung beteiligt.» Ihnat sah darin die Zukunft der Flugabwehr. «Es gibt keinen Grund, teure Raketen zu verschwenden, wenn man den Feind auf diese Weise aufhalten kann», sagte er.
Polizeisprecher: Russland zerstört Getreidelager in der Ostukraine
Die russische Luftwaffe hat nach offiziellen ukrainischen Angaben bei einem Angriff in der Ostukraine ein Getreidelager zerstört. Das Gebäude in Wowtschansk sei von einer Flugzeugbombe getroffen und grösstenteils zerstört worden, teilte Polizeisprecher Serhij Bolwinow am Sonntag auf Facebook mit. In dem Ort unweit der Grenze zu Russland sei bei dem Angriff in der Nacht zum Sonntag zudem ein Gebäude für den Getreideumschlag zerstört worden. «Glücklicherweise gab es keine Verletzten», schrieb Bolwinow. Auf den beigefügten Fotos war ein zerstörtes Getreidelager erkennbar. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig prüfen.
Was am Montag wichtig wird
In Bern wird Selenskyj zu Gesprächen mit der Schweizer Regierung erwartet. Anschliessend reist er nach Davos weiter, um dort am Weltwirtschaftsgipfel teilzunehmen. Vertreter des Nothilfebüros OCHA und des Flüchtlingshilfswerks UNHCR der Vereinten Nationen wollen unterdessen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Genf über ihre Pläne und den Spendenbedarf für die Ukraine informieren. (awp/mc/ps)