Kiew hofft auf konkrete EU-Beitrittsaussicht – CIA hält nächstes halbes Kriegsjahr für entscheidend
Kiew – Von einem EU-Ukraine-Gipfel am Freitag erhofft sich Kiew konkretere Beitrittsperspektiven. «Ich glaube, dass es die Ukraine verdient hat, bereits in diesem Jahr Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft aufzunehmen», sagte Selenskyj in seiner abendlichen Ansprache am Donnerstag. Eine weitere Integration in die Europäische Union würde den Ukrainern «Energie und Motivation geben, trotz aller Hindernisse und Bedrohungen zu kämpfen».
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel wollen in Kiew mit Selenskyj zusammenkommen. Während die Ukraine sich weiter gegen schwere russische Angriffe wehrt, nutzte Kremlchef Wladimir Putin das Gedenken an die Schlacht von Stalingrad im Zweiten Weltkrieg, um seinen Angriffskrieg gegen das Nachbarland einmal mehr zu verteidigen.
EU-Spitze trifft Selenskyj
Ein weiteres Thema des Gipfels am Freitag, der unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet, ist zusätzliche europäische Unterstützung im Krieg gegen Russland. Von der Leyen, die seit Donnerstag in Kiew ist, kündigte bereits weitere finanzielle, militärische und humanitäre Hilfe an. So sollen 150 Millionen Euro für den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Energie-Infrastruktur bereitgestellt werden. Bis zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar soll auch ein neues Paket mit Russland-Sanktionen beschlossen werden.
Die Ukraine hat seit Juni bereits den Status eines Beitrittskandidaten. Bis zu einer Mitgliedschaft dauert es in der Regel dann aber noch viele Jahre. Die 27 EU-Staaten haben sich allerdings darauf verständigt, dass zuvor Reformversprechen eingelöst werden müssen.
Dabei es geht unter anderem um das Auswahlverfahren von Verfassungsrichtern und die Bekämpfung von Korruption – insbesondere auf hoher Ebene. Auch fordert die EU, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden und ein Gesetz gegen den übermässigen Einfluss von Oligarchen umgesetzt wird.
CIA-Chef: Nächstes halbes Jahr im Ukraine-Krieg entscheidend
Das nächste halbe Jahr wird nach Einschätzung des US-Auslandsgeheimdienstes entscheidend für den Ausgang des Krieges in der Ukraine sein. «Der Schlüssel wird in den kommenden sechs Monaten auf dem Schlachtfeld liegen», sagte CIA-Direktor William Burns laut Medienberichten bei einer Veranstaltung in der Universität Georgetown. Der russische Präsident Wladimir Putin setze darauf, dass schwindendes Interesse des Westens und politische Ermüdung seinen Truppen die Chance geben würden, auf dem Schlachtfeld Gewinne zu erzielen.
Dass dieses Kalkül aber nicht aufgehen werde, habe er bereits seinem russischen Gegenüber Sergej Naryschkin bei einem Treffen im November in der Türkei gesagt, sagte Burns demnach. Es müsse Putin klargemacht werden, «dass er nicht nur nicht in der Lage sein wird, in der Ukraine weiter vorzurücken, sondern dass er mit jedem Monat mehr und mehr Gefahr läuft, das Gebiet zu verlieren, das er bislang illegal von der Ukraine eingenommen hat», sagte der CIA-Direktor. «Die nächste Zeit wird absolut entscheidend sein», sagte er.
Ukraine braucht 2023 über 15 Milliarden Euro für Wiederaufbau
Die Ukraine forderte bei der Europäischen Union zudem konkrete Finanzmittel für den angelaufenen Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur an. «In diesem Jahr beträgt der Bedarf 17 Milliarden US-Dollar (rund 15,6 Milliarden Euro)», sagte Regierungschef Denys Schmyhal. Dafür sollten vor allem die im Zuge der Sanktionen gegen Moskau eingefrorenen russischen Gelder verwendet werden.
Kiew fordert weiter Raketen mit grösserer Reichweite
Verteidigungsminister Olexij Resnikow forderte nach einem Bericht der Agentur Ukrinform einmal mehr Raketen mit grösserer Reichweite für sein Land. Die Ukraine sei auch bereit zu Garantien, dass damit keine Angriffe auf russisches Staatsgebiet ausgeführt würden. Der Krieg dauert inzwischen schon mehr als elf Monate.
Putin droht Deutschland
80 Jahre nach dem Sieg der Roten Armee über die Wehrmacht in der Schlacht um Stalingrad hat Kremlchef Wladimir Putin Deutschland vorgeworfen, sich nun in einen Krieg mit Russland hineinziehen zu lassen. «Es ist unfassbar, aber eine Tatsache: Wir werden erneut mit dem deutschen Panzer Leopard bedroht», sagte Putin bei einem Festakt in Wolgograd (früher: Stalingrad). Die Wehrmacht hatte keine Panzer mit der Typenbezeichnung Leopard in ihrem Bestand. Wie im Zweiten Weltkrieg werde wieder auf dem Boden der Ukraine mit deutschen Waffen gegen Russland gekämpft, sagte der Kremlchef. Deutschland betont, trotz der Militärhilfe für die Ukraine keine Kriegspartei zu sein oder werden zu wollen.
Russland werde sich auch diesmal wehren, sagte Putin mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine, den er selbst angeordnet hat: «Wir haben etwas, womit wir antworten. Und mit der Anwendung von Panzertechnik ist die Sache nicht erledigt. Das sollte jeder verstehen», sagte der Präsident der Atommacht.
Kritiker werfen Putin immer wieder vor, die für viele Russen wichtigen Gedenktage zur Erinnerung an den Sieg über Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg für Propaganda zu missbrauchen. (awp/mc/pg)