Le Pens Partei ruft zu frankreichweitem Protest auf

Paris – Nach der aufsehenerregenden Verurteilung der rechtsnationalen französischen Spitzenpolitikerin Marine Le Pen wegen der Veruntreuung öffentlicher EU-Gelder mobilisiert ihre Partei zu einem frankreichweiten Protest. «Ich rufe zu einer friedlichen Volksmobilisierung auf», erklärte der Chef des Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, am Abend. «Wir werden in den nächsten Wochen überall vor Ort sein. Denjenigen, die sich von der Demokratie abwenden wollen, werden wir zeigen, dass der Wille des Volkes am stärksten ist.» Derweil kündigte Le Pen an, Berufung gegen das Urteil einlegen zu wollen.
Die Mehrheit der Franzosen hält das Gerichtsurteil dagegen für gerecht. Laut einer Umfrage des Instituts Elabe für den Sender BFMTV sind 42 Prozent der befragten Franzosen mit der Gerichtsentscheidung einverstanden, 29 Prozent nicht. Weitere 29 Prozent waren neutral.
Ein Pariser Strafgericht hatte mit sofortiger Wirkung ein auf fünf Jahre befristetes Verbot gegen Le Pen verhängt, bei Wahlen anzutreten und ihre geplante Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2027 voraussichtlich unmöglich gemacht. Dies sorgte weit über Frankreich hinaus für Wirbel, denn diese Strafe greift sofort, noch ehe über die von Le Pen angekündigte Berufung entschieden wird.
Fussfessel für Le Pen
Ausserdem verurteilte das Gericht die 56-Jährige am Montag zu zwei Jahren Haft mit elektronischer Fussfessel – die genauen Details zur Ausgestaltung der Strafe blieben unklar. Zwei weitere Jahre Haft wurden zur Bewährung ausgesetzt. Zudem wurde eine Geldstrafe von 100.000 Euro verhängt. Diese Strafen werden erst vollstreckt, wenn das Urteil rechtskräftig ist.
In dem Prozess ging es um die Affäre um Scheinbeschäftigung von Assistenten durch mehrere französische Europaabgeordnete von Le Pens rechter Partei Rassemblement National (RN, früher Front National). Neben Le Pen wurden acht weitere Abgeordnete ihrer Partei im Europaparlament schuldig gesprochen, sowie zwölf parlamentarische Assistenten. Das Rassemblement National muss eine Million Euro Strafe zahlen.
Für die rechte Partei und Le Pens politische Ambitionen ist das Ergebnis des Prozesses ein Desaster. Der vorübergehende Verlust des passiven Wahlrechts ist in Frankreich eine gängige Strafe, wenn Politiker wegen Korruption und Untreue verurteilt werden. Dennoch gilt es aufgrund der grossen Beliebtheit von Le Pen als heikel.
Die Frage am Tag nach dem Urteil wird insbesondere sein, wie Le Pens Partei sich nun positioniert und welche Schritte sie unternehmen wird. Neben dem Aufruf zu Protesten startete das Rassemblement National auch eine Petition gegen eine von ihr so bezeichnete «Diktatur der Richter», wie Medien berichteten. Die Homepage der Partei mit dem Link zu der Petition war aber über Stunden nicht zu erreichen – ob dies mit einem technischen Problem zusammenhing, war zunächst nicht bekannt.
Heizt Urteil politische Krise an?
Es zeichnete sich bereits ab, dass das Urteil Zündstoff birgt, um die in Frankreich schwelende politische Krise erneut anzufachen. Etliche Politiker auch anderer Parteien äusserten sich kritisch dazu, dass Le Pen per Gerichtsurteil der Zugang zur Präsidentenwahl aller Voraussicht nach blockiert wird. Unter ihnen soll Medienberichten zufolge auch Premierminister François Bayrou sein.
Die Justizschelte der Rechtspopulisten – Le Pen sprach von einem politischen Urteil, was man eher in einem autoritären Regime erwarte – rief unterdessen die Sozialisten auf den Plan. Die Partei startete eine Petition zugunsten der Justiz als Stützpfeiler der Demokratie. «Die Sozialistische Partei möchte erneut bekräftigen, dass niemand über dem Gesetz steht, schon gar nicht diejenigen, die das höchste Amt im Staat anstreben», hiess es in einer Mitteilung.
Vorwurf der Einmischung der Justiz in die Politik
Marine Le Pen hatte sich in einem abendlichen TV-Interview kämpferisch gegeben und angekündigt, so schnell es geht Berufung einzulegen mit dem Ziel, möglicherweise doch noch rechtzeitig vor der Präsidentschaftswahl einen für sie günstigeren Berufungsentscheid zu erreichen. «Ich bin nicht bereit, mich so einfach einer Verweigerung der Demokratie zu unterwerfen», postete sie später bei X. «Kein Richter kann beschliessen, sich in eine so wichtige Wahl wie die Präsidentschaftswahl einzumischen, noch dazu unter Verletzung der Rechtsstaatlichkeit.»
Allerdings scheint Le Pen auch für möglich zu halten, dass ihre inzwischen vierte Kandidatur für das Präsidentenamt durch die Justiz verstellt bleibt und signalisiert, dass sie bereits ist, ihren politischen Ziehsohn Bardella (29) ins Rennen zu schicken. Als wolle er die vertrauensvollen Bande betonen, postete Bardella am Abend ein Foto, auf dem Le Pen und er sich fest umarmt halten.
Es wird für unwahrscheinlich gehalten, dass ein Berufungsprozess zu einem schnellen Ergebnis kommt. Vielmehr dürfte ein jahrelanger Gang durch die gerichtlichen Instanzen folgen. Bis zum Ende der Wahlperiode kann Le Pen aber weiter als Abgeordnete im Parlament sitzen, wo sie Fraktionsvorsitzende ist.
US-Regierung besorgt
Über den Gerichtsentscheid gegen Le Pen zeigte sich die US-Regierung besorgt. «Wir müssen als Westen mehr tun, als nur über demokratische Werte zu reden. Wir müssen sie leben», sagte die Sprecherin des US-Aussenministeriums, Tammy Bruce, angesprochen auf das Urteil. Der Ausschluss von Menschen aus dem politischen Prozess sei besonders besorgniserregend.
US-Präsident Donald Trump verglich den befristeten Ausschluss von Le Pen bei Wahlen mit der Situation in den USA. «Das ist eine sehr grosse Sache. Ich weiss alles darüber», sagte er im Weissen Haus. «Ihr wurde für fünf Jahre verboten zu kandidieren und sie ist die Spitzenkandidatin. Das klingt nach diesem Land», sagte Trump.
Trump dürfte darauf anspielen, dass Kläger in mehreren Bundesstaaten versucht hatten, seine Teilnahme an den parteiinternen Vorwahlen für die US-Präsidentschaftswahl zu verhindern. Hintergrund der Auseinandersetzung war der beispiellose Angriff auf den US-Parlamentssitz am 6. Januar 2021. Anhänger Trumps hatten damals gewaltsam das Kapitol in Washington gestürmt. Das Oberste US-Gericht entschied schliesslich, dass Trump an den Vorwahlen seiner Partei teilnehmen kann. Der Republikaner wurde zum Kandidaten seiner Partei gewählt und gewann in der Folge die Präsidentschaftswahl im November.
Rassemblement National so stark wie nie
Das Debakel vor Gericht trifft die rechtsnationale Partei in Frankreich in einem ungünstigen Moment, denn schon seit einer Weile ist sie beständig auf dem Vormarsch und im Parlament inzwischen so stark vertreten wie noch nie. Die von ihrem kürzlich gestorbenen Vater Jean-Marie gegründete rechtsextremistische Front National benannte Marine Le Pen 2018 in Rassemblement National um und verzichtete auf allzu radikale Positionen, um sie auch in breiteren Schichten der Bevölkerung wählbar zu machen. Dreimal bereits kandidierte Le Pen für das Präsidentenamt, bei den letzten beiden Wahlen kam sie bis in die Stichwahl. (awp/mc/ps)