Staatschef Muammar al-Gaddafi.
Tripolis – Trotz der ständigen Angriffe der internationalen Streitmacht gibt sich Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi siegessicher. In einer in der vom staatlichen libyschen Fernsehen übertragenen Rede versprach er vor jubelnden Anhängern, die Angreifer zurückzuschlagen. Nach Informationen der US-Regierung lässt der exzentrische Staatschef jedoch schon Optionen für einen möglichen Abgang ins Exil ausloten. Nach einer relativ ruhigen Nacht gab es am Mittwochmorgen offensichtlich neue Angriffe auf Tripolis.
Wie ein Korrespondent des US-Senders CNN berichtete, waren mehrere sehr schwere Explosionen zu hören. Allerdings habe es anschliessend kein Luftabwehrfeuer gegeben. Unklar war auch, wo genau sich die Explosionen ereigneten. Unterdessen soll die Nato im weiteren Verlauf des Militäreinsatzes nun wohl doch eine Führungsrolle übernehmen. Nach Angaben des stellvertretendenden Nationalen Sicherheitsberaters der USA, Ben Rhodes, stimmen US-Präsident Barack Obama, sein französischer Kollege Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron darin überein, «dass die Nato eine Schlüsselrolle in der Kommandostruktur spielen soll».
Raschen Kommandowechsel angekündigt
«Wir glauben, dass die Nato gewisse Kommando- und Kontrollfähigkeiten hat, die tatsächlich sehr nützlich sind, jetzt, da die Allianz voranschreitet, da wir in eine andere Phase eintreten», sagte auch der Sprecher des US-Aussenministeriums am Dienstag in Washington. Welche Rolle die Nato genau haben werde, bleibe Gegenstand fortlaufender Diskussion, ergänzte er. US-Aussenministerin Hillary Clinton kündigte einen raschen Kommandowechsel an. «Ob es bis Samstag geschieht oder nicht, hängt von der gemeinsamen Bewertung durch unsere militärischen Kommandeure mit den Alliierten und Partnern ab», sagte sie dem US-Sender ABC. Wer die Führungsrolle von den Amerikanern übernehmen werde, sei noch offen, aber die Nato werde klar eine Rolle an der Front haben. Nach langem Zögern begann die Nato am Dienstag mit einem Marine-Einsatz zur Umsetzung des vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Waffenembargos gegen Libyen.
Deutsche Kräfte abgezogen
Die Bundesregierung, die sich nicht aktiv an einem Militäreinsatz gegen Libyen beteiligen will, zog deshalb alle deutschen Kräfte aus den Bündnisoperationen im Mittelmeer ab. Wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Nachrichtenagentur dpa sagte, würden zwei Fregatten und zwei Boote mit insgesamt 550 Soldaten wieder unter nationale Führung gestellt. Die etwa 60 bis 70 deutschen Soldaten, die bisher an einer Aufklärungsmission mit Awacs-Flugzeugen im Mittelmeerraum teilgenommen haben, werden abgezogen.
Exilpläne?
Nach Angaben Clintons lässt Gaddafi bereits Möglichkeiten für eine Zukunft ausser Landes prüfen. «Wir haben von Leuten aus seinem Umfeld gehört, die mit Menschen, die sie überall auf der Welt kennen, Kontakt aufnehmen», sagte sie dem US-Sender ABC. Dabei würden dann Fragen gestellt wie «Was machen wir? Wie kommen wir aus der Sache raus? Was passiert als nächstes?» Zwar habe sie keine Informationen, dass Gaddafi selbst entsprechende Kontakte aufgenommen habe, «aber ich weiss, dass Leute angeblich in seinem Namen die Fühler ausstrecken», sagte die Aussenministerin. Der exzentrische Staatschef zeigte sich am Dienstagabend zuversichtlich, die Angriffe der internationalen Truppe abwehren zu können. «Wir werden nicht aufgeben. Wir lassen uns nicht terrorisieren. Wir werden sie auf jeden Fall besiegen, auf kurz oder lang», sagte Gaddafi bei einer Rede in seiner am vergangenen Sonntag bei einem Luftangriff schwerbeschädigten Kommandozentrale in Tripolis.
Angriffe auf Aufständische fortgesetzt
Er forderte die islamischen Staaten auf, sich dem Kampf anzuschliessen. «Alle muslimischen Armeen müssen sich an der Schlacht gegen die Kreuzfahrer beteiligen». Gaddafis Truppen setzten unterdessen ihre Angriffe auf die Aufständischen fort. Der Vorsitzende der libyschen Übergangsregierung, Mustafa Abdul Dschalil, sagte dem Nachrichtensender Al-Dschasira am Dienstagabend, ohne ein Eingreifen ausländischer Mächte könnten die Massaker der Truppen Gaddafis an der Zivilbevölkerung nicht beendet werden. Ein Reporter des Senders berichtete von Artillerieangriffen der Regierungstruppen auf die Stadt Adschdabija.
Fotografen freigelassen
Unterdessen kamen in der Nacht zum Mittwoch zwei von der libyschen Armee festgehaltene Journalisten der französischen Nachrichtenagentur AFP und ein amerikanischer Getty-Fotograf frei. Wie AFP weiter meldete, ist unter den Freigelassenen auch der deutsch-kolumbianische Fotograf Roberto Schmidt. Die drei Journalisten waren am Samstag im Osten Libyens von Soldaten verschleppt worden. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen werden in Libyen noch vier weitere Journalisten des arabischen Senders Al-Dschasira festgehalten.
Türkischer Präsident ruft Gaddafi zum Rücktritt auf
Der türkische Präsident Abdullah Gül hat den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi aufgerufen, mit einem Rücktritt ein weiteres Blutvergiessen in seinem Land zu verhindern. «Die Mächtigen in Libyen müssen umgehend abtreten, um eine Plünderung durch andere abzuwenden», sagte Gül am Mittwoch mit Blick auf die Bodenschätze in Libyen. Sein Land wolle eine friedliche Lösung für die Konflikte in der arabischen Welt. Er erinnert an das Schicksal des Iraks.
«Koalition der Willigen»
«Es scheint klar, dass einige Länder, die diesen Diktatoren bis gestern sehr nahe standen, heute extreme Massnahmen ergreifen. Dies schürt den Verdacht, dass es geheime Absichten gibt», sagte Gül weiter. Darüber sei auch bereits in den zivilen und militärischen Institutionen der Nato gesprochen worden. Die türkische Führung hat wiederholt die Motivation Frankreichs für die Angriffe infrage gestellt. Die türkische Presse erinnerte zudem an die bisher freundschaftlichen Kontakte des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi zu Gaddafi. Italien hat sich nun der von Frankreich geführten «Koalition der Willigen» gegen Gaddafi angeschlossen. (awp/mc/upd/ss)