Libyen: Der Westen im Dilemma
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
Brüssel – Noch zögert der Westen: Was tun mit Libyen, was tun in Libyen? Der Bürgerkrieg in dem nordafrikanischen Staat und der Waffengang von Revolutionsführer Muammar el-Gaddafi gegen das eigene Volk stürzen sowohl Europa als auch die USA in ein Dilemma.
Unschlüssig diskutiert die Nato über ein mögliches militärisches Eingreifen. Am Donnerstag reden die Verteidigungsminister der 28 Nato-Staaten in Brüssel vor allem über ein mögliches Flugverbot. Ungewiss ist aber, ob es auch irgendwelche Entscheidungen gibt. Das hängt unter anderem stark da von ab, ob der UN-Sicherheitsrat ein Mandat für ein militärisches Vorgehen beschliesst.
«Dramatische Ereignisse in Libyen überwinden»
Ebenfalls am Donnerstag in Brüssel reden die 27 EU-Aussenminister über Europas Antwort auf die Libyen-Krise. Einen Tag später sollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel beschliessen, wie die «dramatischen Ereignisse» in Libyen «überwunden» werden sollen. Wobei EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy bisher das Wort «überwunden» nicht näher erläutern mochte. Einig ist man bei Nato und EU über die Notwendigkeit humanitärer Hilfe für die Opfer des Bürgerkriegs in Libyen, immerhin direkt vor der Haustür Europas. Ganz anders sieht es bei der Frage nach militärischem Handeln aus. «Es gibt keine Einigkeit in der Nato über den Einsatz von Waffengewalt», räumte US-Verteidigungsminister Robert Gates ein. Alles, was man tun könne, habe «seine eigenen Konsequenzen und weitere Folgeeffekte»: «Das sollte sehr sorgfältig durchdacht werden.»
Nato: Flugverbot ohne UN-Mandat undenkbar
William Daley, neuer Stabschef des Weissen Hauses, mahnte ebenfalls voller Vorsicht, die Befürworter einer Flugverbotszone in Libyen redeten, «als ob das ein Videospiel oder so etwas ist, und sie haben keine Ahnung, worüber sie eigentlich sprechen». Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bekräftigte am Montag, eine Flugverbotszone für Libyen sei ohne UN-Mandat nicht denkbar. Freilich plant die Nato bereits für den Fall, dass es ein solches Mandat doch noch gibt. Er könne sich nicht vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft Gaddafi «tatenlos zusieht». Und dann («Wir müssen für alle Eventualiäten bereit sein») stellt sich in Brüssel sofort die Frage, wer im Bündnis was zu tun bereit wäre. Bisher sind noch keine Freiwilligen vorgetreten.
Türkei offen gegen Flugverbot
Während die Briten, die 1991 gemeinsam mit den USA die Flugverbotszonen im Irak kontrollierten, anfänglich Bereitschaft zu einer Neuauflage in Libyen erkennen liessen (mittlerweile aber wieder vorsichtiger formulieren), gehört die Türkei zu jenen Staaten, die offen gegen ein Flugverbot argumentierten. Viele Nato-Staaten halten sich derzeit in der Militärfrage noch bedeckt und warten die weitere Entwicklung ab. Dazu gehört auch Deutschland, das argumentiert, falls es ein Mandat des Sicherheitsrates gäbe, so müssten auch die libyschen Nachbarn mit einem Flugverbot einverstanden sein. Das sieht auch Rasmussen so.
Frage von Aufwand und Ertrag
Es geht vor allem um Politik. Zwar ist in vielen arabischen Staaten die Zuneigung zu Gaddafi eng begrenzt, doch bedeutet dies keineswegs, dass eine militärische Intervention des Westens in Libyen gerne gesehen wäre. Für die Aufständischen wäre sie möglicherweise sogar kontraproduktiv. Die politischen Auswirkungen auf den ohnehin darniederliegenden Nahost-Friedensprozess sind schwer abzuschätzen. Das gilt auch für die Folgen, die eine mögliche Reduzierung der US-Truppenpräsenz in Afghanistan hätte. Viele Fragen seien offen, sagt ein Nato-Diplomat. Eine davon sei das Verhältnis von Aufwand und Ertrag: «Wenn es ein Flugverbot gäbe: Wäre Gaddafi dann etwa schon besiegt?» (awp/mc/ps)