Libyen vor schwierigem Wiederaufbau

Die Flagge des Königreichs Libyen (1951 – 1961): Symbol der Anti-Gaddafi-Rebellen und Flagge des neuen Libyen.

von Gérard Al-Fil

Nach dem wenig ruhmreichen Tod von Ex-Revolutionsführer Gaddafi, der auch einen Schatten auf das Verhalten von NATO und Rebellen wirft, hat der Übergangsrat Libyens den Zivilkrieg am Sonntag für offiziell beendet erklärt. Hunderttausende Libyer feierten vor allem in der östlichen Küstenstadt Bengasi, wo die Revolte vor neun Monaten begann, das Ende des 42 Jahre währenden Gaddafi-Regimes.

Die Ärmel hoch gekrempelt
Der Übergangsrat verspricht Wahlen innerhalb der nächsten 18 Monate, doch dürfte dies angesichts der vor allem in Sirte und Bengasi zerstörten Infrastruktur die 5,5 Millonen Einwohner nur beiläufig interessieren. 18 Monate könnte es nach OPEC-Schätzungen auch dauern, bis die Öl- und Gasproduktion in Libyen wieder Vorkriegsniveau erreicht, eine optimistische Prognose, denn der Irak benötigte dafür nach dem Krieg 2003 vier Jahre.

Nach Angaben des Übergangsrates sind 740,000 Libyer vor den Kämpfen geflohen. Ins benachbarte Ägypten. Nach Algerien. In einen arabischen Golfstaat. Oder nach Europa. Offen bleibt, ob die verschiedenen Stämme (Araber, Berber, Tuareg, Tibbu,…) politisch an einem Strang ziehen werden.

Einseitige Exportwirtschaft
Libyen ist strukturell ein reicher Staat. Vor der Revolution war das Land einer der grössten Erdölproduzenten. Libysches Öl ist wegen seines geringen Schwefelgehalts besonders begehrt. Infolge des Bürgekriegs brach die Ölproduktion um drei Viertel ein.

Der deutsche Öl- und Gasförderkonzern Wintershall, der zu 49 Prozent der russischen Gazprom gehört, ist bereits wieder nach Libyen zurück gekehrt und produziert 20,000 Fass pro Tag. Vor Ausbruch der Unruhen im Februar förderte Libyen 1,5 Millonen Fass Öl täglich. Trotzdem waren 21 Prozent der erwerbsfähigen Menschen arbeitslos. Der Anteil dürfte heute zu Libyens Stunde Null noch höher liegen.

Die Mittelmeerküste ist mit 1,770 Kilometern einer der längsten in einem Staat in Afrika. Über das ganze Land verteilte Baudenkmäler aus der Zeit des Imperium Romanum könnten zusätzlich den Tourismus nähren, der unter Gaddafi jedoch kaum gefördert wurde.

Wankelmütige Altlasten
Probleme wird es auch bei der Umwandlung der einstigen „sozialistischen Volksöffentlichkeit“, so lautete der alte Staatsname, in eine Marktwirtschaft geben. «Früher waren die Menschen stolz, Libyer zu sein,» sagt Mostafa S., ein nach Dubai geflohener Ingenieur aus Bengasi. «Doch Gaddafi hat mit seinen Experimenten in der Wirtschaftspolitik die Leute zermürbt. Mal wurden alle Grossunternehmen verstaatlicht, dann teilprivatisiert. Mal waren Investoren aus dem Ausland hochwillkommen, dann wieder wurden sie aus dem Land verjagt.“

Von Gaddafis gefürchteten Wankelmut kann die Schweiz ein Lied singen. Denn bis zur Affäre um die Festsetzung der Schweizer ABB-Mitarbeiter Max Göldi und Rachid Hamdani im Oktober 2008 (als Reaktion auf eine Verhaftung des Gaddafi-Sohnes Hannibal durch die Polizei in Genf wegen mutmasslicher Gewaltangriffe auf Hotelangestellte) war zwischen Bern und Tripolis aussenpolitisch alles in Ordnung. Infolge der «Libyen-Affäre» kam der Aussenhandel zwischen beiden Staaten auf Gaddafis Betreiben hin praktisch zum Erliegen. KMU und Konzerne aus der Schweiz täten gut daran, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und ins neue Libyen zu investieren. Swiss International Airlines sollte ernsthaft prüfen, wieder nach Tripolis zu fliegen. Notwendige Voraussetzung dafür wäre, dass beide Seiten die alte Angelegenheit zu den Akten legen und nach vorne schauen.

Die Scheiche kommen
Unterdessen hat Etihad Airways, die staatliche Flugesellschaft aus Abu Dhabi, erklärt, sie wolle Tripolis «schon bald» in ihr Streckennetz aufnehmen. Die islamische Bank Al Baraka aus Bahrain, bislang nur mit einer Repräsentanz in Tripolis vor Ort, will in Libyen Private Banking betreiben und dafür eine Lizenz erhalten.

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