Bundeskanzlerin Angela Merkel: «Wir haben noch Zeit.»
Brüssel – Der EU-Sondergipfel zu den künftigen Finanzen der Europäischen Union ist an unvereinbaren Gegensätzen zwischen armen und reichen Mitgliedstaaten gescheitert. Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen nun Anfang kommenden Jahres einen neuen Anlauf unternehmen, um sich auf den Haushaltsplan für den Zeitraum von 2014 bis zum Ende des Jahrzehnts mit einem Umfang von etwa einer Billion Euro zu einigen. Ein Termin für einen Nachfolgegipfel stand zunächst nicht fest. Das erste bereits terminierte Gipfeltreffen des neuen Jahres ist für den 7. und 8. Februar 2013 geplant.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beharrte in den harten Verhandlungen auf weiteren Kürzungen gegenüber einem Vorschlag von Gipfelchef Herman Van Rompuy. Dieser hatten bei einem Budgetvolumen von 1,01 Billionen Euro gelegen – rund 80 Milliarden weniger, als von der EU-Kommission gewollt. «Wir haben noch Zeit», sagte die Kanzlerin. «Es gibt keinen Grund, das jetzt übers Knie zu brechen.»
«Kein Anlass für Dramatisierung»
Die «Chefs» beauftragten Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, in den kommenden Wochen weiter an einem Kompromiss zu feilen. Van Rompuy gab sich zuversichtlich: «Wir sollten in der Lage sein, die Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken», sagte der Belgier. Auch Grossbritanniens Premierminister David Cameron, der lange Zeit als Haupthindernis für eine Einigung angesehen wurde, sagte: «Wir glauben immer noch, dass eine Einigung absolut machbar ist.» Die Mitgliedstaaten verstünden einander jetzt besser.
Es gebe keinen Anlass für eine Dramatisierung, betonte Van Rompuy. Bereits vor sieben Jahren sei ein Gipfel unter luxemburgischer EU-Ratspräsidentschaft zu den langfristigen EU-Finanzen gescheitert. Damals hatte es schliesslich einen Kompromiss nach einer Wartezeit von sechs Monaten gegeben. Auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande weigerte sich, von einem «Scheitern» der Gespräche zu sprechen: «Niemand hat gewonnen, niemand hat verloren, da es keine Einigung gibt.» Der Gipfel sei in freundlicher Atmosphäre verlaufen, zudem habe es inhaltliche Fortschritte gegeben.
«Ambitionierter Zeitrahmen»
Merkel sprach von einem ambitionierten Zeitrahmen, der nun gesetzt wurde. Sie plädierte klar für eine Einigung aller 27 derzeitigen EU-Staaten – einschliesslich Grossbritanniens, das besonders starke Kürzungen des mehrjährigen Finanzrahmens gefordert hatte. Die Debatte der Gipfelteilnehmer sei eine «gute Grundlage, um weiterzuarbeiten». Mit Blick auf Veto-Drohungen einzelner Staaten sagte sie: «Hier hat keiner heute mit irgendetwas gedroht.»
London und Berlin pochten als grosse Nettozahler in Brüssel auf weitere Kürzungen in der Grössenordnung von rund 30 Milliarden Euro gegenüber dem Kompromissvorschlag Van Rompuys. Ärmere Staaten vor allem im Osten und Süden des Kontinents wehrten sich jedoch gegen weitere Streichungen. Aus den Brüsseler Geldtöpfen werden Bauern, strukturschwache Regionen und Verkehrs- und Energievorhaben finanziert.
Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker kritisierte mit harten Worten die Herangehensweise der Mitgliedstaaten. Es gebe keine Ideale, sondern nur Zahlen, mit denen die Staaten in die Verhandlungen gingen. «Meine Überzeugung ist, dass alle 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Nettoempfänger der europäischen Integration sind», sagte Juncker. «Und diese Pfennigfuchserei macht eigentlich wenig Sinn.»
Cameron will sparen – nur auf der Insel nicht
Cameron hatte neben starken Kürzungen den vollständigen Erhalt des vor allem in Frankreich unbeliebten «Britenrabatts» verlangt. Dieser mindert die EU-Beiträge von der Insel pro Jahr um 3,6 Milliarden Euro. «Der Rabatt ist absolut gerechtfertigt», sagte Cameron. Er stehe nicht zur Debatte. Cameron wollte allein bei den Beamtenbezügen und bei Justiz und Sicherheit insgesamt 13,5 Milliarden Euro sparen. «Die EU-Kommission hat nicht einen einzigen Euro angeboten, deshalb haben wir kein Ergebnis und verhandeln weiter», sagte Cameron.
Hollande erklärte: «Meine Position war, den Gesamtumfang der Ausgaben, wie sie vom EU-Ratspräsidenten vorgeschlagen wurden, zu behalten. Währenddessen wollen viele Länder noch Kürzungen dieses Vorschlags.» Der Sozialist machte damit indirekt deutlich, dass er nicht mit Merkel an einem Strang zog, denn Berlin forderte weitere Einschnitte.
Harte Debatten im Europaparlament erwartet
Die EU hatte den mehrjährigen Finanzrahmen eingeführt, damit langfristige Projekte der Regionalförderung oder der Forschung nicht von jährlichen Budgetstreitigkeiten gefährdet werden. Es werden Obergrenzen für die Jahres-Budgets gesetzt, die dann noch verabschiedete werden müssen. Das Europaparlament muss einem Kompromiss der EU-Staaten zum Haushaltsplan 2014 bis 2020 zustimmen. Doch weil die Volksvertretung noch mehr Ausgaben als die Kommission fordert, wird mit harten Debatten gerechnet. (awp/mc/pg/upd/ps)