Paris – Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat erstmals Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in seiner Präsidentenresidenz Fort de Brégançon am Mittelmeer empfangen. Die beiden wollten sich bei dem gemeinsamen Treffen am Donnerstag über zahlreiche internationale Themen abstimmen – allen voran wohl die schnelle Umsetzung des milliardenschweren Corona-Hilfspakets, der Konflikt im östlichen Mittelmeer mit der Türkei und der Putsch in Mali. In Élyséekreisen wurde zuvor die besondere Bedeutung des Besuchs der Kanzlerin hervorgehoben.
Es ist das erste Mal seit 35 Jahren, dass ein deutscher Regierungschef die Präsidentenresidenz in Bormes-les-Mimosas besucht. Das der Küste vorgelagerte historische Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit einem grossen Garten dient als gelegentliche Unterkunft der französischen Staatschefs. Im August 1985 empfing der damalige Präsident François Mitterrand dort den deutschen Kanzler Helmut Kohl.
«Bester Ort der der Welt»
Merkel wurde am Nachmittag von Macron und seiner Brigitte begrüsst. Dabei hielten sie wegen Corona Abstand zueinander. Es gab keinen Handschlag und keine Umarmung. «Bester Ort der der Welt», sagte Merkel bei ihrer Ankunft in der Residenz zwischen Toulon und Saint-Tropez an der Côte d’Azur auf Englisch. Macron verbringt dort derzeit seinen Sommerurlaub.
In den vergangenen Jahren hatte er jedes Mal einen Staatsgast dorthin eingeladen – auch um die politischen Themen für den Herbst zu setzen. Im Jahr 2018 kam die damalige britische Premierministerin Theresa May, im vergangenen Jahr Kremlchef Wladimir Putin kurz vor dem G7-Gipfel in Biarritz.
Corona und Finanzen
Mit dem Wiederanstieg der Corona-Neuinfektionen in Frankreich und Deutschland ist die Umsetzung der Beschlüsse des EU-Gipfels zu den europäischen Finanzen zentrales Thema von Macron und Merkel. Macron hatte sich beim EU-Gipfel Mitte Juli gemeinsam mit Merkel für das milliardenschwere Programm der Europäer gegen die Corona-Krise eingesetzt.
Der EU-Gipfel hatte ein beispielloses Finanzpaket von 1,8 Billionen Euro geschnürt – 1074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen und 750 Milliarden Euro zur wirtschaftlichen Erholung von der Corona-Krise. Der Zeitplan für die Ratifizierung müsse nun eingehalten werden, hiess es vor dem Treffen in Paris.
Paris betonte ausserdem, bei möglichen Reisebeschränkungen oder Grenzkontrollen wegen Corona einen gemeinsamen Weg gehen zu wollen. Auch andere europäische Themen wie der Asyl- und Migrationspakt für Europa sollen laut Kreisen des Präsidialamts angesprochen werden. Deutschland hat derzeit die turnusmässige EU-Ratspräsidentschaft inne. Dem Vernehmen nach ist Frankreich eine enge Abstimmung mit dem wichtigen Partner Deutschland daher besonders wichtig. Man habe die ehrgeizigen Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft fest im Blick.
Erdogan setzt sich auf die Agenda
Dabei dürfte auch der Konflikt im östlichen Mittelmeer zur Sprache kommen. Die EU setzt im Streit um Erdgas in dem Meersabschnitt vorerst auf diplomatische Initiativen und nicht auf neue Sanktionen gegen die Türkei. Auch Deutschland sieht sich eher als Vermittler. Denn in Deutschland und anderen Staaten gibt es die Befürchtung, dass sich eine weitere Eskalation auch negativ auf die Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingspolitik auswirken könnte. Zum Ärger der EU nutzt die türkische Regierung dieses Thema immer wieder für Drohgebärden.
In dem Streit geht es darum, dass Griechenland die Türkei bezichtigt, vor griechischen Inseln illegal Erdgasvorkommen zu erkunden. Die Regierung in Ankara weist die Vorwürfe zurück. Sie vertritt den Standpunkt, dass die Gewässer, in denen probeweise nach Erdgas gebohrt wird, zum türkischen Festlandsockel gehören.
Frankreich unterstütze die deutsche Initiative für einen Dialog zwischen Griechenland und der Türkei, so französische Regierungskreise. Zur symbolischen Unterstützung Griechenlands liess Macron aber die französische Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer verstärken. Macron gilt in der EU als einer der lautesten Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er wirft Ankara auch offen Verstösse gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen vor. Beim Thema Türkei dürfte es also besonderen Abstimmungsbedarf zwischen Macron und Merkel geben – auch wenn Paris hier offiziell keinen inhaltlichen Widerspruch sieht.
Auch die aktuelle Lage in Mali nach dem Putsch einiger Teile des Militärs dürfte besprochen werden. Die Bundeswehr beteiligt sich an einer UN-Mission sowie an einer EU-Ausbildungsmission im Land. Frankreich unterstützt den Kampf den Terror in der Sahelzone dort mit dem Militärkampfeinsatz «Barkhane».
Wenn Merkel und Macron in dem für rund zwei Stunden angesetzten Treffen noch Zeit finden, stehen auch Themen wie die Krisen im Libanon und Libyen, die Lage in Belarus sowie der bevorstehende Brexit auf der Agenda. Paris bedauert, dass die Gespräche kaum Fortschritte machen und wirft den Briten vor, wenig flexibel zu sein. (awp/mc/ps)