Meret Schneider: AFD, FPÖ und die goldene Zeit der Lokalpolitik
Wenn ich zur Zeit über die Grenze schaue, und ich brauche noch nicht einmal meinen Horizont bis in die USA oder nach Russland zu erweitern, dann gruselts mich. In Deutschland kann dem Erstarken der AFD offenbar kaum Einhalt geboten werden, während in Österreich der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ, Herbert Kickl, vor einer möglichen Kanzlerschaft steht. Wende ich mich ab und lasse den Blick in die andere Richtung schweifen, so begegnen mir eine Giorgia Meloni, die bis heute zu ihren “neofaschistischen Wurzeln” steht oder eine Marine Le Pen, die offenbar eine “Entteufelung” (ihr Wort) des rechtspopulistischen Front National anstrebt.
Und während rechtsradikale und -populistische Parteien auf den Wogen der Empörung surfen, verstricken sich Soziologinnen und Soziologen, gemässigte Politiker*innen und ratlose Bürgerinnen und Bürger in demokratietheoretischen Analysen, Aufarbeitungsversuchen der Vergangenheit und populärwissenschaftlichen Kampagnentheorien, die als Erklärungsversuche alle absolut legitim und sicher auch notwendig, jedoch wenig von Veränderungsoptimismus geprägt sind.
“Rechtspopulisten machen Politik mit Ängsten der Bevölkerung.”
“Krieg, Krisen und Inflation haben die Menschen verunsichert, die sich nach einfachen Lösungsversprechen sehnen, die Populisten vollmundig auf ihre Plakate schreiben.”
“TikTok, Social Media, Filterbubbles und die gezielte Instrumentalisierung von Fake News sind schuld.”
Titel und Thesen, die sicher ihre Berechtigung und ihren Wahrheitsgehalt haben. Aber sind sie auch zutreffend und zielführend? Wählen Menschen wirklich AFD aus Angst vor einer sie bedrohenden Zukunft und aus Vertrauen in die Lösungsvorschläge (die so gross an der Zahl nicht sind) der AFD? Und wird auch in der Schweiz die Zustimmung zu offen rechtspopulistischen Aussagen mit teilweise rechtsradikalem Hintergrund grösser, weil sich die Menschen vor Krieg und Krisen fürchten und der SVP eine grössere Lösungskompetenz attestieren?
Meines Erachtens, und ich muss zugeben, dass sich meine Einschätzung einzig auf Begegnungen auf der Strasse und anekdotische Evidenzen stützt, ist dem nicht so. Im Gegenteil. Das empfundene Stimmungsbild ist nicht eines der Angst, sondern eines des unzielgerichteten Unmuts, der Unzufriedenheit mit der eigenen Gegenwart, der eigenen Perspektive und einer schwelenden Wut auf die Menschen in Regierungsverantwortung, denen die Schuld an der eigenen Situation und der Weltlage gegeben wird. Dazu mischt sich ein emotionales Spannungsfeld aus Veränderungsaversion und gleichzeitigem “wir brauchen eine andere Politik, wir brauchen einen Richtungswechsel”, also der Wunsch nach einer fundamentalen Veränderung, während aber bitte alles so bleiben soll, wie es schon immer (oder eben nie) war.
Ausserdem, und das wurde mir oft zurückgemeldet, besteht kaum mehr Vertrauen in parlamentarische Prozesse und die Personen, die mit der Umsetzung von Gesetzen und der Lösungsfindung betraut sind. Während die Bereitschaft, sich mit materiellen, politischen Inhalten zu befassen, erodiert, wächst jene, Schlagzeilen und Tickermeldungen unhinterfragt ins eigene Weltbild zu integrieren, so sie die eigene Position stützen und es wächst das Gefühl, selber kaum mehr etwas zum Laufe der Dinge beitragen zu können. Bis zu einem gewissen Grad kann ich diese Gefühle und Stimmungen gut nachvollziehen. Während medial Kriege und Schreckensnachrichten von Bränden und Katastrophen in immer kürzer werdenden Abständen aufeinander folgen, beschränkt sich die Berichterstattung über parlamentarische Inhalte oft auf plakative Themen, zu denen jeweils die Polpositionen mit den scharfzüngigsten Statements zitiert werden – klar, das generiert Klicks. Dass aber im Parlament auch konstruktiv gearbeitet wird, wir immer wieder auch Sinnvolles auf den Weg bringen und sich sämtliche Beteiligte nicht für den Steuerfranken, sondern für ihre Überzeugungen in die Debatte werfen, abends spät noch Anträge schreiben und auch in der hintersten Ecke der Schweiz zur Podiumsdiskussion erscheinen, wird kaum zur Kenntnis genommen, wenn man sich nicht gezielt damit befasst.
Wer nur oberflächlich Nachrichten konsumiert, erhält schnell das Bild einer politischen Elite, die sich entweder in Symboldebatten verstrickt oder aber kaum bereit ist, auch nur einen Millimeter von den eigenen Maximalforderungen abzuweichen und kaum mehr Gehör für die Anliegen der Menschen vor Ort hat. Sei es der Wunsch nach einer stringenteren Klimapolitik, jener nach bezahlbaren Mieten, mehr Kita-Plätzen oder einer restriktiveren Migrationspolitik: Am einen wie am anderen Ende des politischen Spektrums fühlen sich viele weder gehört, noch ernst genommen. Dieses Gefühl mündet meines Erachtens direkt in der viel beschworenen Politikverdrossenheit und in der Bereitschaft, aus Unmut und Wut auf die Verantwortungstragenden einfach «irgendetwas anderes” zu wählen – und sei es in Deutschland die AFD oder das BSW. Gar nicht unbedingt, weil man mit deren Positionen konform geht, sondern, damit überhaupt einmal “etwas geht”, damit man einen Unterschied macht, etwas bewirkt, nicht einfach mehr vom Immergleichen mit anderer Hintergrundfarbe erhält. Diese Stimmung, die meiner Einschätzung nach nichts mit Zukunftsängsten oder Unsicherheit zu tun hat, ist gefährlich und ich erlebe sie zunehmend auch hier auf der Strasse.
Doch erlebe ich in eben diesen Gesprächen auch das, was mir den Optimismus direkt wieder zurückgibt: Im Gespräch, wenn man den Leuten zuhört und mit ihnen mögliche, ganz konkrete Lösungen vor Ort diskutiert und dann auch angeht, bröckelt die Ablehnungsmauer, die mittlerweile viele gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen um sich herum errichtet haben. Mit diesen Gesprächen meine ich nicht das paternalistische “den Bürgerinnen und Bürgern zuhören” oder “die Probleme des kleinen Mannes ernst nehmen”, nein, das ist etwas für Festreden und Pressekonferenzen. Ich meine damit ganz konkrete Handlungen, wie ich sie lokal in Uster immer wieder anzustossen versuche. Kommt ein Problem oder eine Unzufriedenheit auf, lade ich zum Gespräch in einem lokalen Café und wir diskutieren, wie wir das Problem gemeinsam lösen könnten und wie sich die Beteiligten auch dafür engagieren können. Als nächstes tun wir dies im Rahmen einer möglichen lokalen Feuerwerksverbotsinitiative, da dies ein Anliegen von Menschen des gesamten politischen Spektrums zu sein scheint. Wird eine solche Initiative zur Lösung globaler oder auch nur nationaler Probleme beitragen? Nein und Ja. Materiell natürlich nicht, ein Feuerwerksverbot in Uster ist begrüssenswert, aber nicht bahnbrechend. Aber jede einzelne Person, die sich in ihrem Anliegen dadurch ernst genommen fühlt, die die konkrete Erfahrung macht, dass Politiker vor Ort da sind, zugänglich sind und versuchen, Probleme zu lösen, ist ein Kieselstein im Fundament der Demokratie. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, insbesondere wenn durch Zusammenarbeit und Engagement dann ein Verbot erwirkt werden kann, ist meines Erachtens der Schlüssel zur politischen Beteiligung und einer grösseren Wertschätzung der Demokratie.
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