Tallin – Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die neuen Reformideen für Europa grundsätzlich begrüsst. «Das Ganze gibt der Entwicklung einen guten Impuls», sagte die CDU-Chefin am Donnerstagabend in Tallinn zu Vorschlägen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Über Details müsse man aber noch reden, fügte sie hinzu. Die Grünen – möglicher Partner in einer Jamaika-Koalition – drängten Merkel indes, sich klar hinter Macrons Pläne zu stellen.
Der französische Präsident hatte am Dienstag in einer viel beachteten Rede eine Neuordnung Europas gefordert und dafür einen bis 2024 reichenden Fahrplan präsentiert. Unter anderem will er einen eigenen Haushalt und einen Finanzminister für die Eurozone. Die Vorschläge waren am Donnerstagabend Topthema eines Abendessens der EU-Staats- und Regierungschefs in der estnischen Hauptstadt, die am Freitag auch den EU-Digitalgipfel ausrichtet.
Merkel verabredete sich vorab für etwa eine Stunde mit Macron und äusserte sich erstmals öffentlich selbst zu dessen Vorschlägen. Es gebe ein «Höchstmass an Übereinstimmung zwischen Deutschland und Frankreich», sagte sie. «Ich sehe jedenfalls eine gute Grundlage in der Rede des französischen Präsidenten, intensiv zwischen Deutschland und Frankreich weiterzuarbeiten.»
Ausbau gemeinsamer Verteidigungs- und Migrationspolitik begrüsst
«Ausgesprochen positiv» sehe sie Macrons Vorschläge zum Ausbau einer gemeinsamen Verteidigungs- und Migrationspolitik. Ziel seien gemeinsame europäische Asylverfahren. «Wo ich noch Handlungsbedarf sehe sind die Gemeinsamkeiten in der Aussenpolitik», fügte sie hinzu. Besonders hob die Kanzlerin die Vorschläge Macrons zu einer Harmonisierung der Unternehmenssteuer und des Insolvenzrechts hervor. Diese Punkte würden auch in die Beratungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung einfliessen.
Für die Koalitionsverhandlungen werden Hürden gerade in der Europapolitik erwartet, weil die potenziellen Partner FDP und Grüne unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Liberalen sehen Macrons Vorschläge für die Eurozone skeptisch. Grünen-Chef Cem Özdemir machte indes am Donnerstagabend deutlich, dass seine Partei Macrons Linie mitträgt. «Nun gilt es, Macrons ausgestreckte Hand anzunehmen und dem europäischen Projekt wieder neue Schubkraft zu verleihen», sagte Özdemir.
Alle Blicke auf Berlin gerichtet
Auch EU-Partner blicken nun gespannt nach Berlin. «Man erwartet in Europa, dass auch eine Rede aus Deutschland kommt, die nicht europapolitisch zerknirscht ist, sondern nach vorne zeigt», sagte Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn der «Neuen Osnabrücker Zeitung» mit Blick auf die Vorschläge von Macron und Juncker.
Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni hatte sich schon am Mittwoch hinter Macrons Ideen gestellt. «Jetzt ist die Zeit des Ehrgeizes gekommen», sagte Gentiloni. «Deshalb teilt die italienische Regierung diesen Geist und viele Vorschläge, die der Präsident gestern gemacht hat.»
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber begrüsste Macrons Pläne ebenfalls im Grundsatz. «In den kommenden Monaten sind alle gefordert, nicht über Brüssel zu mäkeln, sondern sich konstruktiv und mutig in die Debatte einzubringen», schrieb er «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Allerdings meinte er auch, nicht jeder Vorschlag Macrons führe zum Ziel.
Bei dem Digitalgipfel am Freitag wollen Merkel und die übrigen Chefs über die weitere Digitalisierung Europas beraten, also unter anderem über den Ausbau des schnellen Internets, Datenaustausch und Cybersicherheit. Am Rande des Treffens könnten auch andere Themen besprochen werden, etwa der EU-Austritt Grossbritanniens oder die Spannungen mit der Türkei. (awp/mc/ps)