Merkel vor EU-Gipfel zur Schuldenkrise unnachgiebig
Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Brüssel – Unmittelbar vor dem EU-Gipfel in Brüssel fliegt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Donnerstag zu einem Parteitag der europäischen Konservativen nach Marseille. Der Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) steht ebenfalls ganz im Zeichen der Schuldenkrise. Neben Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy nehmen auch zahlreiche andere europäische Regierungschefs und EU-Spitzenpolitiker an den Treffen teil.
Noch vor dem Gipfel blickt die Finanzwelt gespannt nach Frankfurt und London. Zunächst entscheidet die Europäische Zentralbank (EZB) über eine mögliche weitere Zinssenkung. Am Abend veröffentlicht die Europäische Bankenaufsicht EBA die Resultate des jüngsten Banken-Stresstests. Derweil traf US-Finanzminister Timothy Geithner zum Abschluss seiner Europareise in Mailand den italienischen Regierungschef Mario Monti.
EZB dürfte Wachstumsprognose drastisch reduzieren
Neben einer Senkung des Leitzinses dürfte die EZB nach Meinung vieler Akteure an den Märkten auch langfristige Kredit-Geschäfte für die Banken der Eurozone mit Laufzeiten von zwei oder gar drei Jahren beschliessen. Sollten die entsprechenden Beschlüsse in der EZB gefasst werden, könnte das Händlern zufolge dem Euro neuen Auftrieb verleihen. EZB-Präsident Mario Draghi könnte eine neuerliche Zinssenkung vor allem mit neuen Projektionen der Notenbank zu Wachstum und Inflation begründen. Viele Volkswirte gehen davon aus, dass die EZB ihre Wachstumsprognose für 2012, die zurzeit bei 1,3 Prozent liegt, drastisch in die Nähe einer Stagnation reduzieren wird.
Resultate des Banken-Stresstests am frühen Abend
Am Abend (18.00 MEZ) legt die europäische Bankenaufsicht EBA in London die Ergebnisse des Banken-Stresstests vor. Gleichzeitig wollen die nationalen Aufseher sowie die Banken individuelle Ergebnisse bekanntgeben. Ermittelt wurde unter anderem, wie viel Geld den Banken fehlt, um auf eine Kernkapitalquote von neun Prozent zu kommen. Bis Ende Juni nächsten Jahres müssen sie diese Quote erreichen. Der Finanzbedarf der Geldinstitute wird auf mehr als 100 Milliarden Euro geschätzt. Merkel und Sarkozy reisen am Abend nach Brüssel, wo der EU-Krisengipfel mit einem Abendessen beginnt. Die Bundeskanzlerin wird in Brüssel auf den auch von Frankreich geforderten Änderungen der EU-Verträge bestehen. Es würden beim Gipfel keine faulen Kompromisse gemacht, sagten hohe Regierungsbeamte am Mittwoch in Berlin.
Absage an abgeschottete Eurozone
Merkel und Sarkozy hatten bereits am Montag die Marschrichtung für den Gipfel vorgegeben. Automatische Sanktionen sollen alle EU-Mitglieder zu einem Stabilitätskurs zwingen. Die deutsch-französischen Vorgaben sind allerdings nicht unumstritten. Kleinere EU-Länder wollen ein «Diktat» der beiden Grossen nicht akzeptieren. Notfalls müsse der Gipfel verlängert werden. Ein hoher Diplomat betonte, Merkel sei ausdrücklich offen für eine Einigung über die Gruppe der 17 Euro-Staaten hinaus, sozusagen für ein «17 plus». Es werde keine abgeschottete Eurozone angestrebt. Aber: «Unabdingbar sind die 17», hiess es mit Blick auf Länder mit der Euro-Währung. In Brüssel wurden die Ankündigungen aus dem Bundeskanzleramt mit Skepsis aufgenommen. Bei der neuen Stabilitätsunion sollten alle 27 Staaten an Bord sein, sagte ein hoher EU-Verantwortlicher.
Tschechiens Aussenminister warnt vor Referenden
Zweifel gibt es aber daran, ob Vertragsänderungen mit notwendiger Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedstaaten schnell oder überhaupt zu erreichen sind. So warnt Tschechiens Aussenminister Karel Schwarzenberg in der Wochenzeitung «Die Zeit» vor Vertragsänderungen, die Referenden nach sich ziehen könnten. «Wollen wir wirklich in einem Moment, da das Ansehen des europäischen Projekts an einem Tiefpunkt ist, neue Abstimmungen in den einzelnen Ländern wagen? Das finde ich sehr kühn», sagte er dem Blatt.
Cameron mit «Bulldoggen-Temperament»
In Berlin hiess es vor dem Gipfel, die Einschätzung, ob es zu einer Einigung aller 27 Mitgliedstaaten komme, sei pessimistischer als noch in der vergangenen Woche. Es bestehe der Eindruck, dass einige Länder und Funktionsträger den Ernst der Lage noch nicht verstanden hätten. Grossbritanniens Premierminister David Cameron stellte für den EU-Gipfel harte Verhandlungen in Aussicht. Er werde keine Vertragsänderung unterschreiben, wenn darin keine Klausel zum Schutz der britischen Interessen enthalten sei. Im britischen Unterhaus versicherte Cameron, er werde mit «Bulldoggen-Temperament» nach Brüssel reisen. (awp/mc/upd/ps)
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