Naypyidaw / New York – Nach dem Militärputsch in Myanmar mehren sich die Forderungen nach einer entschlossenen internationalen Reaktion. US-Präsident Joe Biden drohte den neuen Machthabern im früheren Birma Sanktionen an. Auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, forderte strikte Massnahmen wie etwa ein Waffenembargo für das Land. Am Dienstag (16.00 Uhr MEZ) berät der UN-Sicherheitsrat in New York über die Lage in dem südostasiatischen Land.
Biden betonte, die USA hätten in den vergangenen Jahren Strafmassnahmen gegen Myanmar wegen der Fortschritte des Landes bei der Demokratisierung aufgehoben. Die Umkehrung dieser Fortschritte werde eine sofortige Überprüfung der US-Sanktionsgesetze erfordern, «gefolgt von entsprechenden Massnahmen», betonte der US-Präsident. «Wir werden mit unseren Partnern in der Region und der Welt zusammenarbeiten, um die Wiederherstellung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen.» Biden kündigte an, die für den Umsturz in Myanmar Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen.
«Angriff auf aufstrebende Demokratie und Menschen»
Andrews bezeichnete die Entmachtung und Festnahme der faktischen Regierungschefin Aung San Suu Kyi und vieler ihrer Mitstreiter als «unerhört und rechtswidrig». Die Streitkräfte hätten sich eines «Angriffs auf eine aufstrebende Demokratie und die Menschen in Myanmar schuldig gemacht». Vorkämpfer in Sachen Menschenrechte und Demokratie seien festgenommen worden und würden belagert, so Andrews. «Sie brauchen und verdienen es, dass die Welt ihnen beisteht, was eine starke internationale Reaktion unabdingbar macht.»
Auch viele Bürger sprachen auf sozialen Netzwerken die Weltgemeinschaft direkt an und baten um Unterstützung. «Wir möchten die Staats- und Regierungschefs der Welt, die UN und die Weltmedien bitten, unserem Land, unseren politischen Anführen und unserem Volk zu helfen», schrieb ein Nutzer auf Twitter. «Wir wollen Demokratie und dass sich unser Land so wie unsere Nachbarländer entwickelt.»
Einjähriger Ausnahmezustand
Nur zehn Jahre nach der Einleitung demokratischer Reformen hatte das Militär in der Nacht zum Montag zahlreiche Spitzenvertreter der zivilen Regierung festgenommen. Betroffen ist neben der Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi auch Staatspräsident Win Myint. Das UN-Menschenrechtsbüro sprach von mindestens 45 Festnahmen. Die Armee verhängte einen einjährigen Ausnahmezustand und kündigte nach Ablauf dieser Zeit eine Neuwahl an.
Gerüchte über einen bevorstehenden Putsch kursierten seit Tagen. Hintergrund sind Vorwürfe der Armee, bei der Parlamentswahl im November sei es zu Wahlbetrug gekommen. Die 75-jährige Suu Kyi und ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) hatten die Abstimmung mit absoluter Mehrheit gewonnen. Die frühere Freiheitsikone sicherte sich damit eine zweite Amtszeit als Regierungschefin – offenbar zum Unmut des mächtigen Militärs.
Lokale Wahlbeobachter hatten vergangene Woche mitgeteilt, dass sie keine grösseren Unregelmässigkeiten bei der Wahl festgestellt hätten. «Die Ergebnisse der Abstimmung waren glaubhaft und spiegelten den Willen der Mehrheit der Wähler wider», hiess es in einer Mitteilung.
Neue Minister eingesetzt
Stunden nach der Machtübernahme habe die Militärjunta bereits elf neue Minister eingesetzt, berichtete die örtliche TV-Journalistin Thinzar Shunlei Yi auf Twitter. Die Lage blieb unübersichtlich, Internet und Telefonleitungen funktionierten zeitweise nicht mehr. Die neuen Machthaber verhängten eine nächtliche Ausgangssperre. Ein Augenzeuge in der gössten Stadt Yangon sagte der Deutschen Presse-Agentur, viele kritische Journalisten und Aktivisten hätten sich aus Angst vor eine Inhaftierung versteckt.
Sorge um Rohingya
Die Vereinten Nationen sorgen sich angesichts des Militärputsches um das Schicksal von Hunderttausenden Rohingya. Die UN schätzen, dass sich etwa 120’000 Mitglieder der muslimischen Minderheit in Lagern mit extrem schlechter Versorgung und Zugang zu Bildung aufhalten. «Wir befürchten, dass die Ereignisse die Situation für sie verschlimmern könnten», sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric in New York. Auch könne die Situation vor Ort die Rückkehr der Rohingya aus dem Ausland beeinträchtigen.
Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand Myanmar fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärdiktatur. Suu Kyi setzte sich in den 1980er Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb insgesamt 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz den Friedensnobelpreis. Aber erst 2011 wurden demokratische Reformen eingeleitet, in der Folgezeit kamen erstmals auch wieder Touristen in das lange Zeit isolierte «Land der Pagoden». (awp/mc/ps)