Brüssel – Im Wettbewerb mit Asien und Amerika soll die EU dank eines milliardenschweren Plans von einem Mikrochipmangel verschont bleiben. Insgesamt sollen im Rahmen des Vorhabens rund 45 Milliarden Euro mobilisiert werden, wie Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Dienstag sagte. Das Ziel ist ambitioniert: Der EU-Anteil auf dem Weltmarkt für Chips soll bis 2030 von knapp 10 auf 20 Prozent wachsen. Dafür müsste sich die Produktion vervierfachen, da erwartet wird, dass sich der Markt bis zum Ende des Jahrzehnts verdoppelt.
«Europa ist der Kontinent, auf dem alle industriellen Revolutionen begonnen haben, und Europa kann auch die Heimat der nächsten industriellen Revolution sein», sagte von der Leyen. Im nächsten Schritt befassen sich EU-Parlament und Mitgliedstaaten mit dem Vorhaben. Änderungen sind also noch möglich.
Von den 45 Milliarden aus öffentlicher und privater Hand seien 30 Milliarden bereits in verschiedenen Programmen wie der EU-Forschungsförderung Horizont Europa oder nationalen Vorhaben eingeplant gewesen, sagte von der Leyen. Der Grossteil der Gesamtsumme – mehr als 40 Milliarden Euro – soll aus öffentlichen Töpfen stammen. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager betonte, man hoffe auf weitere Privatinvestitionen.
Die Chipkrise hat direkte Auswirkungen auf Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie müssen etwa lange auf Neuwagen oder moderne Spielkonsolen wie die Playstation 5 warten. Mikrochips sind aber auch in modernen Kühlschränken oder Kaffeemaschinen verbaut. Die Produktion von Halbleitern ist extrem aufwendig. So müssen sie in staubfreien Räumen hergestellt werden. Entsprechend können die Kapazitäten nicht besonders schnell hochgefahren werden. «Sie sind das Fundament der modernen Wirtschaft», sagte von der Leyen.
Chips Act soll verhindern, dass Europa abgehängt wird
Der sogenannte Chips Act soll verhindern, dass Europa von anderen Regionen wie Asien oder Amerika weiter abgehängt wird. Auch Staaten die USA oder China investieren viel Geld in diesen Industriezweig. Bei den US-Plänen rechnet die EU-Kommission mit Zuweisungen von rund 52 Milliarden Dollar (45 Mrd Euro). China investiere geschätzt 150 Milliarden Dollar (131,5 Mrd Euro) innerhalb eines Jahrzehnts.
Industrievertreter aus Deutschland begrüssten den Vorstoss. Der Präsident des Digitalverbands Bitkom, Achim Berg, bezeichnete ihn als Meilenstein. «Infolge des EU Chips Acts erwarten wir Investitionen in Höhe von 5 bis 10 Milliarden Euro in Deutschland», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der Branchenverband Silicon Saxony spricht davon, dass die EU-Kommission eine Geschwindigkeit an den Tag lege, die dringend geboten sei, um nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie spricht von einem wichtigen Schritt, Europa als globalen Player in der Chipfertigung zu stärken. Ähnlich äusserte sich Infineon , eines der grössten Halbleiterunternehmen.
Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner sagte, dass nun umfassendere Beihilferegeln wichtig seien. Die Regeln für Staatshilfen wurden zwar nicht geändert, wie die zuständige Kommissarin Vestager betonte. Zugleich wurde aber klargestellt, dass Beihilfen für Fabriken, die die ersten ihrer Art in Europa sind, wohl genehmigt werden. «Wenn man buchstäblich eine einzigartige Anlage hat, gibt es keine andere, die unter den Beihilfen leiden könnte», sagte Vestager.
Unternehmen sollen für Krisenfälle unter Druck gesetzt werden können
Zudem wird vorgeschlagen, für Krisenfälle Unternehmen unter Druck setzen zu können, EU-Interessen zu bedienen. In Ausnahmefällen sieht die EU-Kommission etwa vor, dass Aufträgen für kritische Sektoren Priorität eingeräumt wird.
«Jeder industriepolitische Eingriff der EU birgt immer auch die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung», betonte der Wirtschaftsforscher und ZEW-Präsident Achim Wambach. Es müsse darauf geachtet werden, dass individuelle Unternehmensförderungen nicht dazu führten.
Kritik kommt vom Centrum für Europäische Politik: «Der aktuelle Engpass ist eher vorübergehend als strukturell», sagte Henning Vöpel, Vorstand der Denkfabrik. Mit dessen Ende werde 2023 gerechnet. Der vorübergehende Engpass rechtfertige keinen solchen Markteingriff. (awp/mc/ps)