Berlin / Budpest – Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hält es für ausgeschlossen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin einen Angriff auf die Nato beabsichtigt. «Kein ernsthafter Mensch kann davon sprechen, dass Russland die Absicht hat, die Nato anzugreifen», sagte Orban der «Bild»-Zeitung. Die Nato anzugreifen sei – nicht nur für Russland, sondern für irgendjemanden auf der Welt – völlig unmöglich, da sie die bei weitem stärkste Militärgemeinschaft sei, sagte Orban. Die Realität für die Ukraine: Ein gezielter russischer Angriff auf eine Kinderklinik, Tote und Dutzende Verletzte.
Voraussetzung sei allerdings, dass die Einheit der Nato erhalten bleibe und Artikel fünf des Nato-Vertrages von allen respektiert werde. Dieser regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird. Orban verwies laut «Bild» zudem auf die vielen Probleme, die Russland an der Front bereits mit der Ukraine habe.
Die Russen hätten eine andere Geschichte und Kultur sowie ein unterschiedliches Verständnis von Freiheit und nationaler Souveränität als die Europäer, sagte Orban weiter. «Aber sie sind rational, sie sind hyperrational», meinte er. Auf den Einwand, dass der Überfall auf die Ukraine nicht rational gewesen sei, entgegnete er: «Irrationalität ist etwas anderes, als sich bei einer rationalen Kalkulation zu verrechnen.»
Orban: Stelle Fragen und sammle Informationen
Nach Besuchen in Kiew und in Moskau vergangene Woche war Orban am Montag in China und traf Staats- und Parteichef Xi Jinping. Auf der als «Friedensmission» inszenierten Reise hatte Orban neben dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auch Putin getroffen.
Über seine viel kritisierte Reise nach Moskau sagte Orban, dessen Land seit Anfang Juli die EU-Ratspräsidentschaft innehat: «Die EU-Ratspräsidentschaft kann es sich einfach nicht leisten, sich nicht mit der Frage zu beschäftigen, wie man dem Frieden näher kommen kann.» Er betonte, nicht zu verhandeln, weil er kein Mandat dazu habe. «Ich versuche, den europäischen Staats- und Regierungschefs die Chance auf einen Frieden vor Augen zu führen.» Er stelle Fragen, sammele Informationen und werde darüber berichten.
Russischer Raketenangriff trifft Kinderklinik in Kiew
Derweil sind einen Tag vor dem Nato-Gipfel in Washington sind durch schwere Raketenangriffe auf die Ukraine mehr als zwei Dutzend Menschen getötet worden. In der Hauptstadt Kiew wurden nach Behördenangaben mindestens 15 Menschen getötet und 37 Menschen verletzt. Aus den Industriestädten Krywyj Rih und Dnipro im Süden der Ukraine wurden mindestens 11 Tote und 59 Verletzte gemeldet.
Fassungslosigkeit löste in Kiew der Treffer auf ein grosses Kinderkrankenhaus aus. Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlichte im sozialen Netzwerk X ein kurzes Video, das zerstörte Krankenzimmer und Blutspuren auf dem Fussboden zeigte. Selenskyj sprach davon, dass Menschen verschüttet seien. «Alle helfen, die Trümmer zu beseitigen – Ärzte und andere Leute», schrieb er.
Gesundheitsminister Wiktor Ljaschko zufolge wurden in dem Kinderkrankenhaus Abteilungen für Dialyse, Krebsbehandlung, Operationssäle und die Intensivstation beschädigt. Hunderte Anwohner halfen Rettungskräften, Trümmer zu räumen und nach Opfern zu suchen.
Erneut Lobrede über Trump
Mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl im November sagte Orban, er gehe davon aus, dass US-Präsident Joe Biden kein weiteres Mal ins Weisse Haus einziehen werde. Er streute dem republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump gleichzeitig erneut Rosen. «Er ist ein Geschäftsmann, er ist ein Self-Made-Mann, er hat eine andere Herangehensweise an alles. Und ich glaube: Das ist gut für die Weltpolitik», meinte Orban. «Vergessen wir nicht, dass er der Mann des Friedens ist.» Während seiner vierjährigen Amtszeit habe Trump keinen einzigen Krieg begonnen und viel getan, um Frieden in alten Konflikten zu schaffen.
Trump und Orban halten regelmässig öffentliche Lobreden übereinander. Orban war der einzige Regierungschef eines EU-Landes, der sich bereits vor Trumps Wahl zum Präsidenten 2016 offen zur Unterstützung des Republikaners bekannte. Die beiden Rechtspopulisten haben politisch viel gemeinsam. (awp/mc/pg)