Nato und EU: Begrenzte Möglichkeiten im Krim-Konflikt
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
Brüssel – Das Brüsseler Krisenszenario ist den länger dienenden Diplomaten bei der Nato und der Europäischen Union vertrauter als ihnen lieb ist. Schon im August 2008 gab es eine Krisensitzung des Nato-Rates und ein Sondertreffen der EU-Aussenminister. Der Protest von EU und Nato gegen den russischen Einmarsch in Georgien zur endgültigen Abspaltung von Abchasien und Südossetien einschliesslich eines Einfrierens der Beziehungen verpuffte damals aber rasch und wirkungslos. Am Sonntag bat die Nato wieder einmal zu einem Krisentreffen, diesmal über die Ukraine. Am Montag folgt die EU.
Von der «schlimmsten Krise seit dem Ende des Kalten Krieges» sprechen Nato-Diplomaten, wenn sie über das Agieren russischer Truppen und prorussischer Bewaffneter auf der Krim sowie in Städten im Osten und Süden der Ukraine sprechen. US-Präsident Barack Obama drohte, Russlands Präsident Wladimir Putin werde eine Invasion der Ukraine «teuer zu stehen kommen». Näheres liess er im Ungewissen; die Optionen des Westens gegen Russland sind begrenzt. Der entscheidende Grund: Früher oder später braucht man sich gegenseitig – ob man will oder nicht.
Risikoreiche Invasion
Sowohl Nato als auch EU können militärische oder politische Zeichen setzen, deren Wirksamkeit allerdings grundsätzlich ungewiss ist. Der bis Mai 2013 amtierende Nato-Oberbefehlshaber, US-Admiral James Stavridis, listete aus dem Ruhestand heraus eine Reihe von Optionen auf, mit denen Moskau von der Nato gezeigt werden könne, dass eine Invasion der Ukraine risikoreich sei.
Stavridis nannte als mögliche Massnahmen verstärkte Aufklärung, beispielsweise durch Drohnen über der Ukraine, und einen Austausch der Erkenntnisse mit dem ukrainischen Militär. Die Nato könne demonstrativ eine militärische Planung für den Fall einer russischen Annexion der Krim beginnen, sie könne die Schnelle Eingreiftruppe NRF in Einsatzbereitschaft versetzen und Kriegsschiffe ins Schwarze Meer verlegen. Eine weiter Option sei eine Vorbereitung auf mögliche Computerangriffe gegen die Ukraine, um dem Land in diesem Fall helfen zu können. «Die Optionen nicht einmal zu prüfen, wäre ein Fehler der Nato und ein Zeichen an Putin, das dieser sehr begrüssen würde», meint Stavridis.
Sanktionen möglicherweise am wirksamsten
Das Einfrieren der Kontakte zu Russland, beispielsweise im Nato-Russland-Rat, hat im 2008 Fall Georgiens keine nennenswerte Wirkung gezeigt. Sowohl die Nato als auch die EU haben Interesse an einem funktionierenden Arbeitsverhältnis mit Moskau. Russland verfügt im UN-Sicherheitsrat über ein Vetorecht – und die Stichwörter Iran und Syrien zeigen, dass ohne Hilfe Russlands in wichtigen Fragen politisch nichts läuft.
Die schärfste Waffe der EU im Umgang mit Russland ist die wirtschaftliche Kraft des grössten Binnenmarkts der Welt mit 500 Millionen Bürgern. Eine Absage des G8-Gipfels von Sotschi würde Russland nicht wirklich treffen – Sanktionen gegen Wirtschaftsunternehmen möglicherweise schon. Vor allem die USA denken über Sanktionen im Bankensektor nach, die sie für die schärfste Waffe gegenüber Russland halten.
Handel mit Russland auch für EU von Bedeutung
Allerdings weisen Diplomaten darauf hin, dass der Handel zwischen Russland und der EU nicht nur für Russland, sondern auch für die EU von Bedeutung ist. EU-Unternehmen haben grosses Interesse an Geschäften in und mit Russland. Zudem verfügt Russland über Gas und Öl, die von entscheidender Bedeutung für die Wirtschaft der EU sind. Und Russland hat seine Gaslieferungen in der Vergangenheit durchaus schon als politische Waffe eingesetzt.
Angesichts der historischen, kulturellen und politischen Bedeutung der Ukraine und insbesondere der Krim für Russland meinen EU-Diplomaten, es werde wohl schwierig, ohne Gesichtsverlust für eine der beiden Seiten einen Ausweg aus der Krise zu finden. Zudem hat die Nato hat im Fall Georgiens und der deswegen eingefrorenen Beziehungen zu Russland bereits erlebt, dass Moskaus Atem länger sein kann als der eigene. Einige Versprechen, mit denen der Konflikt damals beendet wurde, seien nicht umgesetzt worden. So wurden russische Soldaten anders als zugesagt nicht auf ihre früheren Positionen zurückgezogen. Moskau argumentiert mit der normativen Kraft des Faktischen: Es gebe «neue Realitäten», die vom damaligen Waffenstillstand nicht betroffen seien. (awp/mc/upd/ps)