Kiew / München – Die Gefahr eines Krieges in Europa wächst. Russische Soldaten bleiben in Belarus länger als zuvor angekündigt – und damit unweit von der Grenze zur Ukraine. Der Westen hatte mit einem Abzug nach dem Ende eines Manövers am Sonntag gerechnet. Der Ukraine-Konflikt bestimmte auch die Agenda der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende – die erstmals seit Jahren ohne Vertreter aus Moskau stattfand. Stattdessen testete Russland unter Aufsicht von Präsident Wladimir Putin am Samstag atomwaffenfähige Raketen.
Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150 000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland Ukraine zusammengezogen, streitet aber Angriffspläne ab. In den vergangenen Tagen verschärfte sich die Lage vor allem entlang der Frontlinie im Südosten der Ukraine zwischen der ukrainischen Armee und den von Moskau unterstützten Separatisten, die die Gebiete Donezk und Luhansk schon seit Jahren kontrollieren.
Das gesamte Wochenende über meldeten beide Seiten Gefechte. Die Separatisten im Gebiet Luhansk sprachen von zwei getöteten Zivilisten beim Beschuss von Wohnhäusern durch die Armee. Die Regierungstruppen wiederum beklagten zwei Tote in ihren Reihen. Beide Seiten wiesen sich gegenseitig die Schuld zu. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen. Seit 2014 stehen sich die Armee und die von Russland unterstützten Separatisten im Osten der Ukraine gegenüber. Die Aufständischen kündigten nun eine allgemeine Mobilmachung an.
Putin beobachtet Raketentests
Der Kremlchef beaufsichtigte am Wochenende als Demonstration der Stärke von Moskau aus ein Manöver mit Nuklearraketen. Die Armee schoss dem Kreml zufolge etwa ballistische Raketen und Marschflugkörper ab, zudem eine Hyperschallrakete vom Typ Kinschal (Dolch). Im Kreml mit dabei war der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko. Nach Darstellung aus Minsk hatten dabei beide entschieden, dass die Armeen beider Länder weiter in Belarus üben.
Nato geht von vollständigem Angriff aus
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Samstag: «Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Russland einen vollständigen Angriff auf die Ukraine plant.» Er sprach von einem fortgesetzten militärischen Aufmarsch. Der ukrainische Präsident Wolodymy Selenskyj sagte auf der Sicherheitskonferenz, sein Land werde sich gegen einen Angriff verteidigen, aber: «Wir möchten eine diplomatische Lösung statt eines militärischen Konflikts.» Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron telefonierte zweimal mit Selenskyj – und einmal mit Putin.
Angriff «nach Drehbuch»
Im Westen wird befürchtet, dass Putin die Kämpfe in der Ostukraine als einen Vorwand für einen Einmarsch nutzen könnte, um die prorussische Bevölkerung in der Ostukraine zu schützen.
US-Vizepräsidentin Harris sprach von einem «Drehbuch russischer Aggression». Der britische Premierminister Boris Johnson warf Moskau vor, ein «Spinnennetz an Falschinformationen» aufzubauen.
«In Europa droht wieder ein Krieg», sagte Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Bei Verhandlungen mit Russland müsse zwischen unhaltbaren Forderungen Moskaus und legitimen Sicherheitsinteressen unterschieden werden. Russland verlangt einen Verzicht eines Nato-Beitritts der Ukraine. Das Militärbündnis weist diese Forderung strikt zurück.
Warnungen vor Vergeltung
Für den Fall eines Einmarsches in die Ukraine drohten Teilnehmer der Sicherheitskonferenz der russischen Führung erneut mit Vergeltung. Die EU und ihre transatlantischen Partner arbeiteten weiter an einem Paket finanzieller und wirtschaftlicher Sanktionen, auch in Sachen Energie und Spitzentechnologie, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Moskau weist Kriegspläne seit Wochen zurück. (awp/mc/pg)