Tel Aviv – Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wirft dem Iran vor, umfangreiche Forschungen zum Bau einer Atombombe für einen möglichen künftigen Gebrauch heimlich aufbewahrt zu haben. Dies zeigten Zehntausende Dokumente aus einem «geheimen Atomarchiv» in Teheran, die der israelische Geheimdienst sichergestellt habe, sagte er am Montag. Es handele sich um «neue und schlüssige Beweise zu dem geheimen Atomprogramm, das der Iran seit Jahren vor der internationalen Gemeinschaft versteckt». Der Iran hat die Anschuldigung Netanjahus postwendend zurückgewiesen.
«Der Iran hat gelogen», bilanzierte Netanjahu. Das 2015 geschlossene internationale Atomabkommen nannte er einen «schrecklichen Deal», der nie hätte unterzeichnet werden sollen. «Das Atomabkommen basiert auf Lügen», sagte er weiter.
In dem Abkommen hat sich die islamische Republik Iran verpflichtet, bis mindestens 2025 wesentliche Teile ihres Atomprogramms drastisch zu beschränken – mit dem Ziel, dass das Land keine Atomwaffen entwickeln kann. Im Gegenzug wurden die Sanktionen gegen Teheran aufgehoben.
Netanjahu bezichtigte iranische Spitzenpolitiker der Lüge, weil diese wiederholt behauptet hätten, das Land habe nie an Atomwaffen geforscht. Das geheime Material, das der Iran nach der Unterzeichnung des Atomabkommens versteckt habe, könne zum Bau von «fünf Hiroshima-Bomben» dienen, sagte Netanjahu. «Der Iran hat auf der höchsten Ebene geplant, den Bau nuklearer Waffen fortzusetzen.» Die Informationen seien von den Vereinigten Staaten verifiziert worden. «Der Iran hat gelogen, als er sagte, er habe nie ein Atomwaffenprogramm gehabt», sagte Netanjahu.
US-Präsident Donald Trump werde in den kommenden Tagen entscheiden, ob er den Vertrag aufkündigen will. «Ich bin mir sicher, dass er das Richtige tun wird.»
Trump: «Schrecklicher» Deal
Trump sagte dazu, die Präsentation Netanjahus zeige, dass er mit seiner Meinung über den Iran zu «hundert Prozent» Recht gehabt habe. Auch er nannte das Atomabkommen einen «schrecklichen» Deal. Er sagte aber nicht, ob Amerika aus der Vereinbarung aussteigen wird.
Trump muss bis zum 12. Mai entscheiden, ob von den USA ausgesetzte Sanktionen gegen den Iran ausser Kraft bleiben. Dies wird de facto auch als Entscheidung über den Verbleib der USA in dem Abkommen angesehen. Weitere Vertragspartner Teherans sind Russland, China, Frankreich sowie Grossbritannien und Deutschland.
Der russische Präsident Wladimir Putin und sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron bekräftigten bei einem Telefonat ihren Willen, am Atomabkommen festzuhalten. Diese Auffassung teilen auch Deutschland und Grossbritannien.
Iran weist Netanjahus Anschuldigung zurück
Der Iran weist die von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erhobene Behauptung zurück, das Land habe umfangreiches Know-how zum Atomwaffenbau heimlich aufbewahrt. Bei der Präsentation Netanjahus handele es sich um aufgewärmte, alte Anschuldigungen, mit denen sich die Atomenergiebehörde IAEA bereits auseinandergesetzt habe, schrieb Aussenminister Mohamed Dschawad Sarif am Montagabend auf Twitter. Er kritisierte auch US-Präsident Donald Trump dafür, dass er sich Netanjahus Anschuldigungen zu eigen mache. Die «ungestüme» Reaktion Trumps belege eine koordinierte Zeitplanung für die angebliche Enthüllung.
Zuvor hatten am späten Sonntagabend schwere Raketenangriffe in Syrien die Sorge vor einem direkten militärischen Konflikt zwischen Israel und dem Iran geschürt. Bei den Attacken auf Militärziele in mehreren Teilen des Landes wurden der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge mindestens 26 Menschen getötet und 60 weitere verletzt. Verschiedene Staatsmedien äusserten die Vermutung, Israel stecke hinter den Angriffen und habe iranische Stellungen bombardieren wollen. Israels Militär äusserte sich nicht.
Netanjahu berichtete, nach der Unterzeichnung des Atomabkommens 2015 habe der Iran seine Bemühungen verstärkt, seine geheimem Nuklearakten zu verstecken. 2017 seien diese Akten an einen geheimen Ort in Teheran verlegt worden. «Vor einigen Wochen hat Israel in einem grossartigen Geheimdiensterfolg eine halbe Tonne der Dokumente in diesen Tresoren sichergestellt», sagte Netanjahu. Es handele sich um 55 000 Seiten sowie weitere 55 000 Dokumente auf 183 Daten-CDs, darauf unter anderem Videos, Präsentationen und Baupläne. Neben den USA werde Israel sie auch mit anderen Ländern und der Internationaeln Atomenergiebehörde teilen.
Der Iran habe jahrelang ein geheimes Atomwaffenprogramm namens Amad verfolgt, sagte Netanjahu. «Wir können jetzt beweisen, dass Projekt Amad ein umfassendes Projekt war, das zum Entwurf, Bau und Testen nuklearer Waffen diente.»
«Sie sind jetzt bei etwa 2000 Kilometern»
Der Iran baue ausserdem die Reichweite seiner Raketen, die mit Atomwaffen bestückt werden könnten, immer weiter aus. «Sie sind jetzt bei etwa 2000 Kilometern, sie können Riad, Tel Aviv, Moskau erreichen.» Sie strebten aber noch «viel grössere Reichweiten» an. Der Iran habe Projekt Amad unter internationalem Druck beenden müssen, «aber er hat seine nuklearen Ambitionen nicht aufgegeben», sagte er.
Der Iran habe das Know-how von Projekt Amad aufbewahrt, die Arbeit werde heute von einer Organisation innerhalb des iranischen Verteidigungsministeriums heimlich fortgesetzt. Das Archivmaterial zeige, «dass der Iran geplant hat, auf der höchsten Ebene Arbeiten in Verbindung mit Atomwaffen unter verschiedenen Deckmänteln fortzusetzen, indem es dasselbe Personal verwendet.»
Netanjahu nannte vier Schlussfolgerungen: Der Iran habe gelogen, als er sagte, er habe nie ein Atomwaffenprogramm verfolgt. Sogar nach der Unterzeichnung der Atomvereinbarung 2015 habe der Iran «sein Know-how zum Bau von Atomwaffen ausgeweitet und aufbewahrt, für künftigen Gebrauch». 2015 habe er die Internationalen Atomenergiebehörde angelogen und seine früheren Ambitionen nicht offengelegt. Das Atomabkommen basiere daher auf «iranischen Lügen und Betrug».
Netanjahu gilt seit Jahren als schärfster Gegner der Atomvereinbarung mit dem Iran. Er hat immer wieder gefordert, den Vertrag nachzubessern oder aufzukündigen. Der Iran hat Israel mit Zerstörung gedroht. Deshalb sieht der jüdische Staat eine Aufrüstung Teherans mit Atomwaffen als eine Bedrohung seiner Existenz. (awp/mc/ps)