Jerusalem – Sieben Wochen nach seinem deutlichen Sieg bei Israels Parlamentswahl hat der designierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sein Comeback vollendet. Der 73-Jährige informierte den Staatspräsidenten Izchak Herzog am Mittwochabend kurz vor Ablauf einer Frist, dass ihm die Bildung einer Regierung gelungen sei. Für seine Rückkehr an die Macht nach anderthalb Jahren in der Opposition setzt der frühere Langzeit-Ministerpräsident auch auf rechtsextreme Kräfte. Radikale Reformpläne der neuen Regierung wecken Sorgen um die Zukunft der Demokratie in Israel.
Rechtsextreme Bündnispartner wollen Justizsystem schwächen
Neben Netanjahus rechtskonservativer Likud-Partei sind künftig das rechtsextreme Religiös-Zionistische Bündnis sowie zwei strengreligiöse Parteien in der Koalition vertreten. Es ist die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel je hatte. Teil des Bündnisses ist auch ein offen homophober Politiker.
Die neue Regierung will tiefgreifende politische Veränderungen durchsetzen – die Netanjahu auch bei seinem aktuell laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen könnten. Es wurden bereits mehrere umstrittene Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die als Voraussetzung für einen gemeinsamen Koalitionsvertrag gelten.
Die neue Regierung will auch eine sogenannte Überwindungsklausel durchsetzen. Damit könnte eine Mehrheit der Knesset Gesetze verabschieden, auch wenn das Höchste Gericht diese als illegal einstuft. Vor einer Vereidigung der neuen Regierung ist noch eine Gesetzesänderung geplant, die es dem Vorsitzenden der strengreligiösen Schas-Partei, Arie Deri, ermöglicht, trotz einer Verurteilung wegen Steuervergehen Innenminister zu werden.
Die Rechtsberaterin der israelischen Regierung, Galit Baharav-Miara, rief die Bürger in einer aufsehenerregenden Rede zu erhöhter Wachsamkeit auf. Die von der neuen Regierung angestrebte Reform, die sie als «Blitz-Gesetzgebung» beschrieb, gefährde das demokratische System im Land. Ohne eine unabhängige Justiz wäre Israel «eine Demokratie nur dem Namen nach, aber nicht in der Essenz», warnte sie.
Netanjahu bemüht sich um Beschwichtigung
Netanjahu gibt sich dagegen staatsmännisch und versucht, die Sorgen zu zerstreuen. Mit Blick auf seine umstrittenen Koalitionspartner betonte er im Gespräch mit einem US-Rundfunksender, er sei es, der die Richtung der Regierung vorgebe. «Sie schliessen sich mir an. Ich schliesse mich nicht ihnen an.»
Der rechtskonservative Netanjahu sei ironischerweise wohl der liberalste Politiker in seiner eigenen Regierung, meinte eine Forscherin des Minerva-Zentrums an der Universität Haifa, das sich mit der Lage der Justiz unter extremen Bedingungen befasst.
Sein Lager hatte bei der Wahl am 1. November 64 von 120 Sitzen geholt. Es war bereits die fünfte Wahl in Israel binnen dreieinhalb Jahren. In Israels Geschichte war bisher niemand länger im Amt als Netanjahu. Er war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident, danach wieder durchgängig von 2009 bis 2021.
Mit seiner Ablösung im vergangenen Jahr galt die Ära Netanjahu, in Israel wegen seiner politischen Überlebensfähigkeit auch als «Zauberer» bekannt, vorerst als beendet. Die wackelige Acht-Parteien-Koalition seiner Nachfolger war im Juni jedoch an inneren Streitigkeiten zerbrochen. Die liberale Zukunftspartei des scheidenden Regierungschefs Jair Lapid landete mit 24 Mandaten bei der Wahl auf dem zweiten Platz.
Israelische Siedlungen sollen gestärkt werden
Bezalel Smotrich von der rechtsextremen Religiös-Zionistischen Partei gilt auch als glühender Verfechter des Siedlungsausbaus im besetzten Westjordanland. Er selbst wird Finanzminister, seine Partei soll aber künftig auch starken Einfluss auf die Verwaltung des Westjordanlandes erhalten. Smotrich strebt die Legalisierung weiterer israelischer Siedlungen an.
Itamar Ben-Gvir, der wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt wurde, wird Minister für Nationale Sicherheit. Durch Gesetzesänderungen will er mehr Einfluss auf die Polizei gewinnen. Ausserdem soll er für die besonders im Westjordanland aktive Grenzpolizei zuständig sein. Dies bedeute «direkte Kontrolle durch einen Minister, dessen Ideologie eindeutig rassistisch und anti-palästinensisch ist», erklärt Juraprofessor Alexandre Kedar von der Universität Haifa.
Der Anführer der islamistischen Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, hat der neuen Regierung vorgeworfen, sie strebe einen «religiösen Krieg» an. Er sprach von einer «offenen Konfrontation» und rief die gemässigtere Palästinenserbehörde von Präsident Mahmud Abbas im Westjordanland dazu auf, die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel zu beenden.
Hightech-Vertreter warnen vor wirtschaftlichem Schaden
Führende Mitarbeiter des erfolgreichen israelischen Hightech-Sektors haben in einem offenen Brief an Netanjahu vor zerstörerischen Auswirkungen für die Wirtschaft gewarnt. Ihre Sorge: Eine Schwächung der israelischen Demokratie könnte ausländische Investoren abschrecken und so besonders dem IT-Bereich schaden. Die dynamische Startup-Szene gilt als wichtigstes Zugpferd der israelischen Wirtschaft. (awp/mc/ps)