«Nuclear Option»: Biden droht mit umstrittener Reform des US-Senats
Atlanta – Zur Durchsetzung einer Ausweitung des Wahlrechts hat US-Präsident Joe Biden der republikanischen Minderheit im Senat mit einer umstrittenen Änderung der Abstimmungsregeln gedroht. Falls die Republikaner die Reform des Wahlrechts erneut mit ihrer Sperrminderheit blockieren sollten, unterstütze er eine Änderung der Senatsregeln, sagte Biden bei einem Auftritt in Atlanta im Bundesstaat Georgia. Die Regeln müssten bei Bedarf so geändert werden, dass es der Mehrheit möglich sei, für den Schutz der Demokratie zu stimmen, forderte er.
«Ich unterstütze eine Änderung der Senatsregeln – auf welche Weise auch immer nötig – um eine Minderheit der Senatoren daran zu hindern, eine Reform des Wahlrechts zu blockieren», sagte Biden. Die Regel werde inzwischen als politische Waffe «missbraucht», sagte er. Bislang hatte Biden immer nur gesagt, dass er Bemühungen unterstütze, den Einsatz der «Filibuster» genannten Prozedur zu erschweren.
«Nukleare Option»
Die Regel ermöglicht es einer Minderheit, Gesetzesvorhaben der Mehrheit zu blockieren. Die Regelung, die im Grundsatz seit mehr als 100 Jahren gilt, besagt, dass bei Gesetzesvorhaben 60 der 100 Senatoren einem Ende der Debatte zustimmen müssen, damit es zur Abstimmung kommen kann. Eine Abschaffung der Regelung wurde in Washington immer wieder als «nukleare Option» bezeichnet.
Zwei Demokraten gegen «Filibuster»-Ablehnung
Bidens Demokraten kontrollieren im Senat 50 Sitze, also exakt die Hälfte. Bei einem Patt kann Vizepräsidentin Kamala Harris, die von Amts wegen auch Präsidentin des Senats ist, den Demokraten zum Sieg verhelfen. Weil aber mindestens zwei Demokraten eine Abschaffung des «Filibusters» ablehnen, scheint es ungewiss, ob eine Änderung der Regel überhaupt zustande kommen könnte. Die Republikaner in der Kongresskammer haben gewarnt, dass sie bei einer Abschaffung alles daran setzen würden, die Regierung an jeder Stelle nach Kräften auszubremsen. «Das kann ich persönlich garantieren», zürnte der Minderheitsführer der Republikaner, Senator Mitch McConnell. Die Demokraten wollten die Einparteienherrschaft einführen, erklärte er.
Riskantes Manöver
Linke Demokraten hatten Biden schon lange gedrängt, eine Abschaffung des Filibusters zu unterstützen. Doch selbst im Erfolgsfall birgt der Schritt auch Risiken für die Partei: In zehn Monaten stehen etwa ein Drittel der Sitze im Senat zur Neuwahl an. Umfragen zufolge könnten die Demokraten dabei ihre hauchdünne Mehrheit wieder verlieren. Ohne den Filibuster könnten dann die Republikaner durchregieren.
Biden appellierte in Atlanta an die Republikaner im Senat, ein nach dem Bürgerrechtler und späteren Abgeordneten John Lewis benanntes Gesetz zum Schutz des Wahlrechts zuzulassen. Die Abstimmung sei ein entscheidender Moment der US-Geschichte, sagte Biden. «Jedes Mitglied des Senats wird von der Geschichte beurteilt werden», sagte er. «Es gibt kein Entkommen.» Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, will noch diese Woche eine Abstimmung ansetzen. Mit dem bereits vom Repräsentantenhaus beschlossenen Gesetz soll das Recht zur Stimmabgabe geschützt werden und Gesetze der Bundesstaaten, die das Wahlrecht untergraben, ausgebremst werden.
Republikaner erschweren Abstimmen
In den USA ist das Wahlrecht, das im Wesentlichen von den Bundesstaaten ausgestaltet wird, extrem umkämpft. Viele republikanisch regierte Staaten – darunter zum Beispiel Georgia, Texas und Arizona – haben zuletzt Regelungen beschlossen, die das Abstimmen nach Ansicht von Kritikern erschweren würden. Sie zielen zum Beispiel darauf ab, Möglichkeiten zur Briefwahl und vorzeitigen Stimmabgabe oder die Zahl der Wahllokale zu begrenzen.
Wenn die Hürden für das Wählen höher sind, bleiben in den USA häufig vor allem Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten zuhause – und diese Bevölkerungsgruppen stimmen oft eher für Demokraten. Viele Demokraten werfen den Republikanern daher vor, Änderungen am Wahlrecht gezielt einzusetzen, um den Wahlausgang zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Republikaner wiederum argumentieren, ihnen gehe es nur darum, Wahlbetrug zu erschweren. Wahlbetrug ist in den USA aber sehr selten und kann teils mit langen Haftstrafen geahndet werden.
Die Erstürmung des Kapitols durch Anhänger seines republikanischen Vorgängers Donald Trump vor einem Jahr bezeichnete Biden in Atlanta als «versuchten Putsch». Sie hätten versucht, die Demokratie auszuhöhlen und die Wahl zu stehlen, sagte Biden. Es seien Kräfte gewesen, «die einen Putsch versucht haben, einen Putsch gegen den rechtmässig ausgedrückten Willen der amerikanischen Wähler». Bislang hatte Biden die Ereignisse vom 6. Januar 2021 meist als «Aufstand» bezeichnet, nicht direkt als versuchten Staatsstreich. (awp/mc/pg)