Obama als Clintons «Cheerleader-in-Chief»
Präsident Obama wirft sich für Hillary Clinton ins Rennen. (Foto: UN Photo)
Charlotte – Es waren bittersüsse Stunden für Hillary Clinton. Am Morgen eine Ohrfeige vom FBI, die sich nur so gewaschen hat. Am Nachmittag dann eine Umarmung und flammende Unterstützung von einem Präsidenten, der derzeit in den USA so populär ist wie selten zuvor in seiner Amtszeit. Ein weiterer ungewöhnlicher Tag in einem ungewöhnlichen US-Wahlkampf, der noch nicht einmal in die heisse Phase getreten ist.
Keine Frage: So hatten sich Clinton und Präsident Barack Obama das Stimmungsumfeld vor ihrer ersten gemeinsamen Kundgebung vor der Wahl im November nicht vorgestellt. Statt schon die vormittäglichen Nachrichtenshows zu beherrschen, wurde das bevorstehende Ereignis von einem anderen überschattet: Zwar keine Anklage gegen Clinton in der E-Mail-Affäre, aber doch eine Art von Verurteilung durch FBI-Direktor James Comey.
Noch als die Air Force One mit Obama und Clinton in Charlotte im heiss umkämpften North Carolina aufsetzt, reden sich TV-Kommentatoren die Köpfe darüber heiss, was die FBI-Watsche für Clintons weiteren Wahlkampf bedeutet, twittert der Republikaner Donald Trump seine Entrüstung darüber in die Welt, dass «crooked Hillary» (unehrliche Hillary) nicht hinter Gittern landet.
Hillary fliegt in der Präsidentenmaschine ein
So geht denn in all dem Wirbel auch etwas von der Symbolik verloren, die bewusst vermittelt werden soll. Obama fliegt mit Hillary ein, in der Präsidentenmaschine. Dann gehen sie zusammen die Flugzeugtreppe herunter, Seite an Seite, auch wenn es eng ist, er legt den Arm um ihre Schulter – ein Bild der Vertraulichkeit.
Aber Comeys harsche Worte hallen noch nach, extreme Sorglosigkeit und Fahrlässigkeit im Umgang mit vertraulichen Kommunikationen im Amt als Aussenministerin hat er ihr angelastet. Das können auch die «Hillary, Hillary»-Rufe während Clintons Rede in Charlotte nicht so leicht wegwischen, selbst wenn sie selber auf der Bühne das FBI und die E-Mail-Affäre mit keinem Wort erwähnt.
Vertrauenswürdigkeit als grösste Schwäche
Aber dann ist Obama an der Reihe – und zieht wieder mal rhetorisch alle Register, zeigt, warum er selber zwei Präsidentschaftswahlkämpfe gewonnen hat und ein Vorwahlrennen gegen Clinton. Er wird zum Cheerleader-in-Chief, lobt ihre Erfahrung, ihr Urteilsvermögen, ihren Kampfgeist, ihr Überzeugungen, Ideale, ihre Statur – und ja, ihre Vertrauenswürdigkeit. Denn das ist Clintons grösste Schwäche, wie Umfragen zeigen: Viele Wähler halten sie für unehrlich.
«Sie wird uns in aller Welt stolz machen»
Obama hält dagegen. «Ich bin hier, weil ich an Hillary glaube», sagt er. «Mein Vertrauen in Hillary wurde immer belohnt.» Sie sei eine grossartige Aussenministerin gewesen, das habe man ihr auch allgemein bescheinigt, «bevor all die politische Maschinerie in Gang gesetzt wurde» – die einzige Anspielung auf Clintons Probleme, die Obama macht. Er sei bereit, den Stab weiterzugeben, «und ich weiss, dass sie das Rennen besteht…Sie wird uns in aller Welt stolz machen.»
Obama ist in Hemdsärmeln gekommen, feuert persönlich das Publikum zu Jubelrufen an, bewegt sich manchmal rhythmisch dazu, lässt das Script immer wieder Script sein und improvisiert. Hillary, wohl angespornt durch ihre Begleitung, hat einen ihrer besseren Redetage, wirkt weniger einstudiert als sonst häufig. Aber doch wird augenfällig, was Obama hat und sie nicht, wenigstens nicht bisher: die Fähigkeit zum Mitreissen, zur Spontanität.
So kann denn Clinton mit Obamas Hilfe zumindest vorübergehend in überschwänglicher Begeisterung des Publikums baden. Die Fernseher kehren schon kurz danach wieder zum Hauptthema des Tages zurück: der E-Mail-Affäre. Clintons Wahlkampflager hatte zuvor in einer knappen Mitteilung wissen lassen, man sei erfreut darüber, dass es keine weiteren Schritte gebe: «Wir sind froh, dass diese Angelegenheit jetzt aus dem Weg geräumt ist.» Was wohl etwas optimistisch war, trotz Obama als Tophelfer. (awp/mc/pg)